Der sechste Januar ist vorbei, das Fest ist vorbei, das gelangweilte Wohlstandsgesindel hat die Bäume entsorgt, die in Haufen auf den Straßen liegen. Die trockenen Nadeln verströmen einen wunderbaren Duft. Kindern spielen in den Haufen, werfen sich auf sie, verkriechen sich in ihnen.
Es ist ein trockener, klarer, kalter Wintertag. Ich glaube, dadurch ist der Duft der Nadeln noch intensiver. Jedenfalls dringt er unwiderstehlich in meine Nase. Gerade bricht die Dämmerung an, die versinkende Sonne färbt den Himmel im Westen orange. Josefine und ich werfen uns zu den Kindern in den Baumhaufen und nehmen ein Nadelbad. Die ätherischen Düfte betören mich, entzückt rufe ich aus: „Ist das nicht wie Weihnachten!“
„Es ist Weihnachten“, sagt Josefine: „Weihnachten dauert doch bis zweiten Februar, bis Lichtmess, bis der Frühling nicht mehr weit ist. Wir sollten uns angewöhnen, die Bäume bis Lichtmess auf den Straßen liegen zu lassen, um in ihren Düften zu baden. Weihnachten für jedermann!“
Wir liegen in den Zweigen und sehen im Osten den Mond auftauchen. „Weihnachten!“, sage ich nachdenklich: „- Alle sind froh, wenn Weihnachten vorbei ist. Am meisten die psychiatrischen Ambulanzen, die an Weihnachten besonders voll sind. Auch ich habe mir angewöhnt, froh zu sein, wenn Weihnachten vorbei ist, wenn der Zwang zur Liebe sich wieder verzogen hat, aber…“ – ich richte meinen Blick zu Josefine, während hinter ihr der erste Stern am Himmel erscheint: „aber wenn Weihnachten so ist, wie du es beschreibst, mit Nadelbad für alle, dann bin ich froh, wenn Weihnachten ist.
Wie gut, dass noch bis Lichtmess Weihnachten ist!“
Wir ließen den Motor an, schließlich fuhren wir gleich weiter, der Anlass für unsere Weiterfahrt war ein spezieller: Als wir ankamen, gewährte man uns Einlass, der Einlasser ließ sogar zu, dass wir mit dem Wagen auf den Hof fahren, ein zusätzlicher Zulass zum Einlass sozusagen, wir stellten den Wagen im Hof ab und gingen zur Tür, dort stand ein weiterer Einlasser, dieser meinte, dem Anlass gemäß dürften wir die Schuhe anlassen, dann schaute er auf unsere Füße und sah, dass wir barfuß waren, er blickte daraufhin irritiert, woraufhin wir fragten, ob barfüßiges Erscheinen ein unzulässiger Weglass sei, der Schuhe nämlich, der Einlasser verneinte, schien dabei aber nicht von seiner Irritation abzulassen, sein Ablass davon war für uns jedenfalls nicht erkennbar, was uns in dem Gefühl beließ, einen unzulässigen Weglass zu begehen, wahrscheinlich spürte er unser Gefühl, denn er sagte schließlich, es bliebe uns überlassen, ob wir die Schuhe weglassen, er empfehle jedoch, das barfüßige Betreten des Gebäudeinneren zu unterlassen. Ein Überlass mit empfohlenem Unterlass also. Wir unterließen daraufhin die Befolgung der Empfehlung und machten Gebrauch vom gewährten Überlass, betraten das Gebäudeinnere barfuß, ja, wir waren sehr froh über den gewährten Überlass, hatten wir doch keine Schuhe dabei und konnten dem Anlass nur barfüßig beiwohnen.
Während der Diskussion am Einlass über Unter- oder Überlass beziehungsweise Weglass hatten wir übrigens alle hinter uns vorgelassen, die meisten hatten sich für den Vorlass bedankt, einer meinte sogar im Vorbeigehen: Wenn Sie das nächste Mal bei mir einkaufen, gewähre ich Ihnen einen Nachlass!
Im Gebäudeinneren empfing uns ein prächtiger Saal, auf den wir uns gerne einließen. Doch nun zum Anlass: In der Saalmitte stand ein alter Traktor, dessen Motor mit einer Kurbel angelassen wird. Als alle geladenen Gäste erschienen waren, ging eine Person, der Anlasser, zur Kurbel, um den Motor anzulassen. Als der Kolben im Zylinder begann, sich auf- und abzubewegen und der injizierte Treibstoff mit lautem Knall explodierte, der Motor also angelassen war, veranlasste dies alle Anwesenden, den erfolgten Anlass lauthals zu beklatschen.
Was waren das letztes Jahr für schöne Weihnachten! Lockdown für alle, wir waren gemeinsam einsam. Es gab keine Impfungen gegen das Corona-Virus, die Gesellschaft war nicht in Geimpfte und Nichtgeimpfte eingeteilt. Es herrschte Einigkeit in der Einsamkeit. Wir saßen in unseren Wohnungen und wetzten die Messer, um den Kampf gegen das Corona-Virus aufzunehmen.
Dieser Tage wäre meine Großmutter hundert Jahre alt geworden. Ich dachte daran, dass ich ihr zu ihrem siebzigsten eine Pappkrone bastelte – ich nannte die Pappkrone Omikron. Und jetzt kommt Omikron in einer neuen Variante des Corona-Virus über uns. Trotz der Wunderwaffe der Impfungen! Ja, Herrschaftszeiten, was taugt denn die Wissenschaft, wenn sie dieses Virus nicht endlich unter Kontrolle kriegt? Wir Menschen haben doch diese Erde unter Kontrolle! Von diesem Glaubenssatz sollen wir nicht abweichen. Sonst sind wir verloren!
Aber das Schlimmste ist: Noch immer ist kein entspanntes geselliges Biertrinken möglich wegen dieses Virus! Apropos Bier: Bier enthält in unseren Breiten Hopfen. Obwohl Hopfen, wie Hildegard von Bingen anmerkte, die Seele des Menschen trübsinnig macht und seine inneren Organe belastet. Nein nein, sagen bayrische Reinheitsapostel dazu: Hopfen beruhigt, schläfert ein, und das ist das Wichtigste in dieser trübsinnigen Zeit, sich zu beruhigen und vor den Sorgen wegzuschlafen. Ich habe mir indessen das Gegemteil überlegt. Ich will mir zur Impfung einen zusätzlichen Booster, einen zusätzlichen Antrieb für das Leben in der Pandemie schenken: Ich werde mir Bier brauen, aber statt mit Hopfen mit Bilsenkraut. Bilsenkraut schläfert die Nerven nicht ein wie Hopfen, sondern bringt sie gewaltig durcheinander, Praktiker sagen, es führe einem das perfekte Bild des Wahns vor Augen. Das klingt nach prallem Leben!
Am Heiligen Abend, nachdem ich mein Bilsener genossen habe, werde ich deshalb wie ein Waldteufel durch den verschneiten Wald wandern, um an einem einsamen Waldsee meine Runden als Schlittschuhläufer zu drehen:
Wer nicht auf Teufel komm raus in den Wald will, um einen Waldsee zu suchen, der kann Weihnachten wieder so feiern wie letztes Jahr. Irgendwie ist es ja doch wieder dasselbe. Weihnachten da capo halt:
Die Flaneuse flaniert in Flanell, jetzt, im Winter, wo es kalt ist.
Im Sommer dagegen, als es warm war, saß sie mit einigen Anderen in einem Raum, als einer der Anderen sagte: „Würden Sie sich bitte bekleiden! Nacktheit im Beisein von Anderen entspricht nicht meiner Moral.“ Woraufhin sich die Flaneuse erhob und sagte: „Wenn ich das Wort Moral höre, muss ich den Raum verlassen.“ Ich wusste nicht, dass sie mit diesem Satz Kieślowski zitierte, jetzt weiß ich es, ich glaube die Flaneuse selbst hat mich später darauf hingewiesen, dass sie Kieslowski zitierte, er sprach über seinen Dekalog, ein ethisches und kein moralisches Werk, wie sie betonte, jedenfalls ging die Flaneuse, nachdem sie Kieślowski zitiert hatte, zur Tür die ins Freie führt, und als sie die Tür geöffnet hatte, in ihr stand und bevor sie sie hinter sich schloss, sagte sie: „Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg.“ Dann ging sie aus der Tür, schloss sie hinter sich und ließ die Anderen im Sarg zurück.
Ich kenne die Geschichte, weil ich daraufhin der Flaneuse begegnete, wie sie nackt die Straße entlangflanierte. Freudig begrüßte sie mich und meinte, sie habe soeben Blumfeld zitiert mit Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg, und die Anderen im Sarg belassen, während sie nun die Freiheit im Freien genieße, sicher, meinte sie weiter, der harte Asphalt unter meinen Füßen passt nicht zur Weichheit meiner Haut, ich träume vom weichen Wiesengrund, der mich zum wilden Wasser führt, der weiche Wiesengrund ist eine kulturelle Errungenschaft, während der harte, knorrige, wurzelige Waldboden die Realität ist, eine Realität vor dem Menschen, sofern man in der menschlichen Welt von Realitäten sprechen kann, mir erscheint alles wie ein Traum, meinte die Flaneuse, und sie fügte an, dass der harte, knorrige, wurzelige Waldboden mit weichem Moos durchsetzt sei, woraufhing sie vorschlug, den harten Asphalt der Stadtstraßen zu verlassen und in den Stadtwald zu gehen, um dort auf weichem Moos zu ruhen.
Wir flanierten nun zu zweit die Straßen entlang, wobei: Bei mir war es eher angespanntes Gehen, ich sah in den Augen entgegenkommender Leute deren Moral aufblitzen, als ich mit der nackten Flaneuse die Straßen entlangging, ich war kurz davor, vor dieser Moral zu kapitulieren, doch die Flaneuse setzte unbeirrt einen Schritt vor den anderen, dieser Unbeirrtheit konnte ich mich nicht entziehen. Ich begann aber – wohl, um mich von meiner eigenen Moral abzulenken – unentwegt zu plappern, irgendwelches Zeug, sodass ich mich – das weiß ich erst jetzt, im Nachhinein – den wunderbaren Welten, die die Flaneuse mir eröffnet hatte, zu entziehen begann.
Ich wünschte wir wären gemeinsam im Stadtwald angelangt, wo ich mich spätestens auf weichem Moos ebenfalls entkleidet hätte, um mit der Flaneuse unter offenem Himmel die wunderbaren Welten zu erkunden. Doch dazu ist es nicht gekommen: Ich ließ die Flaneuse allein weiterflanieren, bog selbst hart in eine Seitenstraße ab, um mich meiner Moral zu ergeben.
In dieser harten Seitenstraße, die im Winter noch härter ist, flaniert sie nun, die Flaneuse, in weichen Flanell gepackt. Ich sehe sie gehen, wie sie einen Schritt vor den anderen setzt, ich fühle mich wie in einem Sarg, unfähig, einen Schritt mit ihr zu gehen, und wie ich sie so gehen sehe, weiß ich nicht: Ist es ein Traum, oder ist es die Realität der ich nicht ins Auge blicken kann?
Ich fuhr mit der U-Bahn und blickte auf einen der Monitore in der Mitte des Waggons. Ich blicke nicht gern auf diese Monitore, weil ich mir nie sicher bin, ob sie mich beobachten und ob ich mich verdächtig verhalte, wenn ich sie beobachte. Sie hängen da wie die Televisoren in Orwells 1984, ein längst von der Realität überholter Roman, denn es überwacht nicht der totalitäre Staat, sondern das totalitäre Google&Partner.
Jedenfalls blickte ich auf einen der Monitore und las folgende Meldung: Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen – das Corona-Virus wird vor allem über die Augen übertragen. Ich traute meinen Augen nicht, ich wandte meinen Blick vom Monitor ab und blickte in die Augen der mitfahrenden Mitmenschen im Waggon. In etwas anderes Menschliches konnte ich nicht blicken, denn es war Winter und die Körper waren verhüllt mit dicken Klamotten, bei vielen war sogar der Kopf bemützt, Mund und Nase sowieso wegen des grassierenden Corona-Virus. Ich sah also nur die Augen meiner mitfahrenden Mitmenschen.
Das Corona-Virus wird vor allem über die Augen übertragen – dieser Satz durchfuhr meinen Körper, besonders meine Augen. Als der Satz meinen Körper, besonders meine Augen, fertig durchfahren hatte, kamen die Gedanken: Ist es nun vorbei mit der freien Sicht? #GemeinsamgegenCorona #WirverschließenundverhüllendieAugen. Wird dafür der Mund- und Nasenschutz obsolet werden, oder ist eine Übertragung über Mund und Nase weiter im Bereich des Möglichen? Wird sogar die Kleidung ihren sozialen Status verlieren und nur mehr dem Kälteschutz dienen, wenn sie aufgrund verhüllter Augen keiner mehr sieht? Ich schaute wieder in die Augen meiner mitfahrenden Mitmenschen: Sie waren nach wie vor unverhüllt, es erfolgte keine spontane Verhüllungsaktion aufgrund der Meldung am Monitor, weshalb ich meine Augen auch unverhüllt ließ. Lediglich eine Person sah ich, die sich ein Tuch vor die Augen hielt, und bei manchen glaubte ich zu sehen, dass sie ihre Brillen näher an ihre Augen geschoben hatten.
Zuhause angekommen, kramte ich gleich meinen Augenschutz aus der Schublade, den ich bisher zweckentfremdet für Liebesspiele verwendet hatte. (Deshalb aus rotem Stoff.) Nun war ich froh, ihn zu besitzen, denn Augenschutz würde sicher knapp werden in nächster Zeit. Die CKU (kurz für Christliche Klüngel-Union) ist schließlich nicht mehr an der Macht und kann ihre Klüngel-Partner nicht mehr anweisen, statt überteuertem Mund-Nasen-Schutz nun überteuerten Augenschutz herzustellen. Außerdem ist es von Vorteil, dass mein Augenschutz aus rotem Stoff ist, denn ich habe gelesen, dass das Virus rot nicht mag.
Corona-Augenschutz
Zufrieden stand ich da mit meinem Augenschutz, als ich feststellte, dass es schwierig sein würde, ohne Augensicht zur U-Bahn zu gelangen. In den Supermarkt. Überallhin. War diese Meldung nur erfunden, um den Lockdown zu erzwingen? Um die Bevölkerung in die völlige Immobilität zu treiben?
Ich tastete mich zu meinem Digitalradio und schaltete es ein, als gerade der scheidende Digitalinfrastrukurminister der CKU sprach und sagte, dass von der Regierung beauftragte Firmen längst daran arbeiten, ein Fortbewegen ohne Augensicht mittels moderner Apps zu ermöglichen. Er appellierte an die neue Regierung aus Sozis, Alternativos und atheistischen Freidenkern, vernünftig zu sein und diese Entwicklungen nicht zu behindern.
Lebski (dargestellt von Georg Stürzer) bei der Bodenbekehrung
Vorderbrander, der sich selbst als fundierten Feuilletonisten bezeichnet, hat meinen Text Unbekehrter Bühnenboden als ein großes Stück Poesie bezeichnet, jedoch kritisch bemerkt, dass ihm mein Umgang mit dem Begriff Bekehrung zu eindeutig sei, wo doch der Text als Lobhymne auf die Doppeldeutigkeit der Sprache daherkommen soll.
Protagonist Lebski, ein Mensch mit polnischem Namen – der Name bedeutet schlau und gewitzt – verursacht durch sein Bodenbekehren mit dem Besen ein Staubaufwirbeln, ohne den Boden dabei sauber zu machen. Zweifelsohne bekehrt er jedoch den Boden, sodass der Boden nicht mehr als unbekehrt bezeichnet werden kann, sondern als bekehrt bezeichnet werden muss.
Ich verlange von Lebski, so Vorderbrandner weiter, dass er den Boden ordentlich bekehrt, was eine grobe Herabwürdigung der Bodenbekehrung Lebskis bedeutet, denn wie könne ich beurteilen, wann ein Boden ordentlich bekehrt ist. Nur Lebski mit dem Besen in der Hand kann seine Bekehrung beurteilen. Aber Lebski – und hier zeigt sich seine Schläue und Gewitztheit – will seine Bekehrung gar nicht beurteilen, er macht die Bekehrung um ihrer selbst Willen, er begreift sie als einen zarten Akt zur Durchdringung des Lebens, und somit kann und muss der Boden nach Lebskis Bekehrung als bekehrter Boden bezeichnet werden, denn der Sauberkeitsgrad eines Bodens ist keine Kategorie, mit der seine Bekehrtheit definiert werden kann. Ein bekehrter Boden ist kein gekehrter Boden. Ein bekehrter Boden ist viel mehr. Und somit muss festgestellt werden, dass der Abend im alten Theater mit Lebski auf bekehrtem Bühnenboden stattfand.
Er hoffe, so schließt Vorderbrandner seine Ausführungen, hiermit alle Eindeutigkeiten beseitigt und den Vorgang der Bodenbekehrung in all seinen Doppeldeutigkeiten erörtert zu haben.
Der Boden war uneben und hart zu bekehren, wir waren im alten Theater, um die Vorstellung vorzubereiten, ich mochte das alte Theater, meine tiefsten Träume offenbarten sich in ihm sobald ich es betrat, vor allem wenn ich seine Bühne betrat, jedenfalls glaubte ich das zu spüren, trotzdem hatten wir das Problem, das der alte unebene Bühnenboden hart zu bekehren war, ich drückte Lebski den Besen in die Hand, ich wusste nicht, ob er verstanden hatte, was ich von ihm wollte, es schien so, als habe er es verstanden, denn er begann den Boden zu bekehren, es sah nach nutzloser Tätigkeit aus, wie er mit dem Besen ruckelnd den unebenen Boden entlangschleifte, es war ein Staubaufwirbeln und kein Saubermachen.
Ich musste nochmal weg, Requisiten besorgen, die mir erst jetzt eingefallen waren, diese Requisiten waren unbedingt notwendig, um den Abend im alten Theater zu einem gelungenen zu machen, also sagte ich zu Lebski: Ich setze auf dich, dass du den Boden ordentlich bekehrst! Ich gehe derweil in die Stadt, um Requisiten zu besorgen. Du setzst auf mich? fragte Lebski. Was soll das heißen? Dass ich mich auf dich verlasse.
Ich verließ also Lebski, um in der Stadt Requisiten zu besorgen. Die Spätherbstsonne hatte einen Weg durch den Hochnebel gefunden und bestrahlte sanft die alten steinernen Gassen. Ich schritt federleicht dahin, mit einer Leichtigkeit, die das Leben wie einen Traum erscheinen ließen. Ich wandelte hoch zur Burg, wo ich die sonnenbeschienenen Dächer der Stadt betrachtete. Oben bei der Burg beschloss ich, die Requisiten doch nicht zu besorgen. Sie kamen mir plötzlich überflüssig vor. Ich würde den Abend gänzlich ohne Requisiten bestreiten, Requisiten würden nur ablenken von dem, was ich an diesem Abend erzählen will, ich würde mich auf mich beschränken, und auf mein wunderbares Leben, das mir alles gibt, was ich brauche.
Doch machte ich mir plötzlich Sorgen, dass Lebski mich nicht richtig verstanden hat, ich muss klareres Deutsch mit ihm sprechen, sagte ich zu mir, eindeutige Ansagen machen, obwohl ich ein Freund der Doppeldeutigkeiten bin, mit diesem Entschluss ging ich zurück ins alte Theater, wo Lebski, mit dem Besen in der Hand auf unbekehrtem Bühnenboden stand und mich mit folgenden Worten empfing: Erst hast du dich mich verlassen, und jetzt, bitte, setzt du dich auf mich.
Ich wusste nicht, was er meinte, seine Worte waren voller Doppeldeutigkeiten, was ich schön fand, genau dafür mochte ich Lebski, dass er die Sprache mit seinen Doppeldeutigkeiten bereicherte. Das einzig Eindeutige war, dass der Abend im alten Theater auf unbekehrtem Bühnenboden stattfinden würde, was mich zu dem Entschluss führte, den Abend gemeinsam mit Lebski auf unbekehrtem Boden zu bestreiten.
Dem König gefiel zweierlei: die Musik, die an seiner Tafel erschallte, und seine neue Unterhose. Deshalb rief er den Lakai und fragte: „Von wem ist die Musik, die an meiner Tafel erschallt? Und von wem ist meine neue Unterhose?“
„Die Musik“, entgegnete der Lakai, „ist von einem gewissen Pachel, mein König, die Unterhose von einem gewissen Pö.“
„Die beiden sofort zu mir kommen lassen!“ befahl der König.
Hektische Betriebsamkeit brach im Hofstaat aus, um Pachel und Pö möglichst schnell zum König bringen zu lassen. Pachel hatte man gleich gefunden, er probte am Organ der örtlichen Kathedrale an neuer Musik, während Pö nicht aufzufinden war. Die ganze Stadt wurde durchkämmt, doch man fand ihn erst am Rand der Stadt bei einem Bordell, wo er gerade in eine Schlägerei verwickelt war. In seinem nicht sehr präsentablen Zustand führten sie Pö zur Residenz, wo Pachel sich schon im Audienzzimmer befand. Sodann, als beide anwesend waren, trat der König hinzu und sprach: „Bel Oeuvre, meine Herren! Besser würde es kein Franzose hinkriegen! Sie beide dürfen künftig den Zusatz bel an ihren Namen tragen!“
Der anwesende Hofbeamte eilte sogleich, um die Namensänderungen urkundlich eintragen zu lassen. Pachel verneigte sich vor dem König, voll von innerer Freude, künftig ein Pachelbel zu sein, er sollte mit seinem neuen Namen als Komponist und Organist in die Geschichte eingehen, während Pö fragte: „Von was für einem Oeuvre sprecht ihr?“
„Von der Unterhose, die ihr mir geschneidert!“ sagte der König.
„Ah, verstehe! Gefurzt euch wohl, Majestät!“
„Was für ein Unhold!“ rief nun der König: „Ich scheiß auf seine Unterhose!“
Da schiss der König tatsächlich in die von Pö geschneiderte Unterhose, sodass es im Audienzzimmer fürchterlich zu stinken begann, hatte der König doch am Vortag Hammelbraten gespeist. Die eben noch herrschende feierliche Stimmung war verdorben, es half auch nicht, dass Pachelbel zurückgerufen wurde, um mit der königlichen Hofkapelle eines seiner Stücke zu spielen.
Während die Musiker spielten, riss sich der König die Kleider vom Leib, inklusive Perücke und Unterhose. Ungerührt stand er schließlich in seiner Nacktheit da, während Lakaien seinen Popo putzten. Pö rief, während er abgeführt wurde: „Wohlgetan, Majestät – Unterhose und Scheißen liegen nah beisammen, wenngleich ich empfehle, die Unterhose künftig beim Scheißen beiseite zu schieben.“
Erstaunlicherweise hat der König die Adelung Pös nach den Vorfällen im Audienzzimmer nicht zurückgenommen. Pö durfte sich fortan Pöbel nennen. Die von Pöbel für den König geschneiderte und vom König angeschissene Unterhose, Pöbels Meisterwerk sozusagen, ging allerdings in den Wirren der Geschichte verloren. Man erzählt sich, Pöbel habe keine weiteren Unterhosen noch sonstige Kleidungsstücke mehr für den König geschneidert, sondern für die Damen am Stadtrand Unterwäsche entworfen, in der sie ihre Freier empfingen.