Der Mensch hat den Wunsch, ein Huhn zu sein. Denn ein Huhn hat nicht viel zu tun. Es legt täglich ein Ei, ansonsten hat es frei. Hühner in beengten Geflügelfarmen haben so wenig zu tun, dass sie sich mir ihren Schnäbeln gegenseitig verletzen. Doch dazu später.
Bleiben wir zunächst bei der Frage, wie weit der Mensch gekommen ist mit seinem Wunsch, ein Huhn zu sein. Viele laufen auf den Straßen bereits herum wie blinde Hühner, starren gebannt auf ihre Smartphones und haben keinen Blick mehr für ihre Umwelt. Es werden Forderungen laut, diese blinden Hühner einzusperren, um ihre Umwelt vor ihnen und sie selbst vor sich zu schützen. Wahrscheinlich würden die blinden Hühner es nicht merken, wenn sie eingesperrt werden. Falls doch, könnte man ihnen zur Ablenkung vor der Festnahme eine App installieren, mit der sie virtuell durchs All fliegen, um die Festnahme zu einem unkomplizierten, gewaltlosen, vom Betroffenen unbemerkten Vorgang zu machen.
Was sollte man mit denen machen, die ein Huhn sein wollen, aber nicht über den Umweg, zunächst ein blindes Huhn unter Menschen zu sein? Man könnte sie gleich einsperren, in einen Raum ähnlich einem Ei, der dafür sorgt, dass die körperliche Ver- und Entsorgung rund um die Uhr funktioniert, ohne das der Betroffene sich bewegen muss. Wer soll das bewerkstelligen? Computer natürlich. Künstliche Ernährung, künstlicher Darmausgang, alles kein Problem. Visuelle Projektionen an die Innenwand vom Ei sorgen für geistige Ablenkung. Der Mensch lebte wie ein Küken im Ei. Er hätte das Huhn sozusagen überholt in seinem Nichstun, indem er dessen pränatalen Status annimmt.
Womit wir wieder bei den echten Hühnern wären, die in Geflügelfarmen so wenig zu tun haben, dass sie sich mit ihren Schnäbeln gegenseitig verletzen. Für diese Hühner entwirft man mittlerweile Beschäftigungsprogramme. Man gibt ihnen zum Beispiel gepresste Dinkelballen mit eingeschlossenen Weizenkörnern. So picken sie an den Dinkelballen, um Weizenkörner zu finden, anstatt sich mit ihren Schnäbeln an das Gefieder des Nachbarn zu machen. Entwickeln sich Hühner also gegenläufig zum Mensch? Der eine will mehr tun, der andere weniger?
Ist der ideale Mensch ein im Nichtstun erstarrtes, von der digitalen Berieselung eingelulltes Huhn? Braucht der Mensch nicht auch etwas zu tun, um seinem Leben Sinn und Erfüllung zu geben? Dinkelballen, in denen er nach Weizenkörnern sucht. Herausforderungen, die er zu bewältigen hat. Oder sind das alles unberechtigte Zweifel am Nichtstun, und ich sollte mich endlich davon überzeugen lassen, ein Huhn (im Ei) sein zu wollen?