Vorderbrandner hat zu sich geladen, zum philosophischen Gespräch. Ich gehe immer mit einem gewissen Widerwillen zu diesen Abenden, denn ich finde: Während Vorderbrandner spricht, passiert das Leben.
Vorderbrandner sitzt in seinem Stuhl und sucht mit ausladenden Bewegungen seiner Arme und Hände seine Worte:“Die Menschheit bewegt sich in großen, wogenden Wogen, auf der Suche nach ihrer inneren Ruhe und ihrem inneren Gleichgewicht.“
Mitterbichler, der auch in unsere Runde gestoßen ist, sieht ihn an und sagt:“Die innere Ruhe meiner Kinder würde mir oft schon reichen zum Glück, der Rest der Menschheit soll in großen Wogen wogen, meinetwegen.“
„Wie kannst du von deinen Kindern verlangen, dass sie zu ihrer inneren Ruhe finden, während die Welt um sie herum unruhig wogt? Die Menschheit ruht und wogt gemeinsam, niemand kann sich da ausschließen. Vielleicht ist das schwer zu akzeptieren. Manche halten es nicht aus, das Wogen und das Ruhen, und dann schießen sie, mitten hinein in die wogende und ruhende Menge, so als wollten sie ausbrechen aus etwas, aus dem es kein Ausbrechen gibt, weil es ihr Leben ist. Vergewaltige deine Kinder nicht, Mitterbichler, lass sie wogen und ruhen im Rhythmus der Menschheit!“
„Vorderbrandner, red nicht solchen Käse! Du hast keine Kinder, die dir schlaflose Nächte bereiten, die dich jeden Tag aufs Neue herausfordern mit ihrer schonungslosen Art, dir deine Schwächen aufzuzeigen.“
„Nein, ich habe keine Kinder. Aber trotzdem schlaflose Nächte. Kürzlich, in so einer schlaflosen Nacht, ist mir bewusst geworden, warum viele Männer schwul werden. Aus Angst. Nicht aus Angst vor den Frauen, sondern vor ihrer eigenen Männlichkeit. Ich komme aus einem Landstrich, da bekommen die Männer folgende Vorgaben für ihre Männlichkeit: Es gibt die Jungfrau Maria, die es anzubeten gilt. Gedanken an Sex mit ihr sind streng verboten und moralisch äußerst verwerflich. Alle anderen Frauen aber haben sich die Männer untertan zu machen und mit ihrer Stärke zu dominieren. Männer haben keine Schwächen, Schwächen haben nur die Frauen. Gleichzeitig glauben auch viele Frauen an dieses Bild der Männlichkeit, sie unterwerfen sich ihm, glauben an ihre Schwachheit und eifern dem Ideal der unbefleckten Jungfrau Maria nach. Manche Männer nun, die mit diesem Rollenverständnis nicht zurecht kommen, suchen ihr Heil in gleichgeschlechtlicher Liebe.“
„Gut Vorderbrandner. Aber was hat das mit meinen Kindern zu tun?“
„Alles hat mit allem irgendwie zu tun. Es hat keinen Sinn, nach Ursache und Wirkung zu suchen. Vielleicht würde ich alles, was ich gerade gesagt habe, nicht mehr sagen. Aber ich habe es gesagt. Der Landstrich, aus dem ich komme, hat mich so geprägt, dass mein Verhältnis zu Frauen ein schwieriges ist. Doch gleichgeschlechtliche Liebe stellt für mich keine Alternative dar. Ist das der Grund für meine schlaflosen Nächte?“
Mitterbichler trinkt einen Schluck von seinem Wein, während Vorderbrandner beobachtet, wie der Nachhall seiner Worte den Raum erfüllt. Ich nutze diesen Moment der Ruhe, um die Runde zu verlassen. Mein Fahrrad wiegt mich nachhause mit rhythmischen Bewegungen. Josefine ist noch wach, als ich nachhause komme. Sie fällt mir um den Hals, als hätte sie mich sehnlichst erwartet. Ich reisse ihr und mir die Kleider vom Leib, mit der festen Absicht, Kinder zu machen.