Entwurf von Regeln für das Durchschreiten von Parkanlagen

Oskar, ein Hagestolz noch nicht zu alten Datums, ist von der tiefen Überzeugung durchdrungen, dass Regeln dazu da sind, eingehalten zu werden. Die Welt ist ein wohlgeordnetes Universum, das mathematischen Gesetzmäßigkeiten gehorcht. Wenn diese noch nicht ausreichend erforscht und durchdrungen sind, gilt es, sich mit Verhaltensregeln zu behelfen, um der wohlgeordneten Ordnung der Welt nicht im Wege zu stehen. Dies ist, grob umrissen, Oskars Postulat für eine wohlgeordnete Welt.

Um seinem Kopf ein wenig Erholung von seiner Studierstube zu geben, war Oskar in den Park gegangen. Dort fand er, am Beginn eines neu angelegten Weges, folgendes Schild vor:

Schrittgeschwindigkeit

Zweifellos handelt es sich hier um eine Verhaltensanweisung, die Oskar nun, gemäß seines Postulats einer wohlgeordneten Welt, gewillt war zu befolgen. Doch er sah sich mit einer großen Schwierigkeit konfrontiert, was die Befolgung der Verhaltensanweisung betrifft: Was ist Schrittgeschwindigkeit, wie definiert sie sich? Die Menschen gehen unterschiedlichen Schrittes: schleichenden Schrittes, laufenden Schrittes, zum Beispiel. Überhaupt bietet Sprache hier keinen Anhaltspunkt. Denn würde auf dem Schild spezifiziert stehen Schleichende Schrittgeschwindigkeit, so böte das wieder unendliche Interpretationsmöglichkeiten. Was für den einen ein Schleichen ist, ist für den anderen bereits rasende Geschwindigkeit. Es würde einzig und allein eine präzise mathematische Angabe helfen, mit welcher Geschwindigkeit man den Weg zu durchschreiten habe, wobei man hier wieder einen präzisen Geschwindigkeitsmesser bei sich haben müsste, um sicher zu gehen, den Weg nicht mit zu niedriger oder zu hoher Geschwindigkeit zu durchschreiten. Kann man der Bevölkerung zumuten, sich für ihre Parkspaziergänge einen Geschwindigkeitsmesser zu besorgen, um die Wege mit der vorgegebenen Schrittgeschwindigkeit zu durchschreiten?

Oskar fühlte sich im Stich gelassen. Was soll diese unpräzise Verhaltensanweisung auf dem Schild vor ihm, die er sich unfähig fühlte zu befolgen! Kurz überlegte er, ob er den Weg laufenden Schritts durchschreiten sollte, um so die Zeit zu vermindern, in der er einer externen Beobachtung einer eventuellen Regelwidrigkeit ausgesetzt war. Er streckte seinen Hals und schaute kurz den Weg entlang, für den die unpräzise Verhaltensanweisung galt. Er konnte kein Ende der Verhaltensanweisung erspähen. Also unterließ er es, den Weg laufenden Schrittes zu durchschreiten, da ihn die Vorstellung zu sehr beunruhigte, eine langandauernde eventuelle Regelwidrigkeit zu begehen. Es bestünde dann ein erhöhtes Risiko, dass ihn ein externes Regelorgan wie etwa ein Polizist dabei ertappte. Es würde schwierig sein, diesem sein Verhalten zu erklären, da er ja nicht einmal für sich hinreichend würde falsifizieren können, keine Regelwidrigkeit begangen zu haben.

Oskar machte kehrt und ging nachhause. Zuhause setzte er sich sogleich an seinen Schreibtisch und begann einen Aufsatz zu schreiben mit dem Titel: Entwurf von Regeln für das Durchschreiten von Parkanlagen.