Ich übe täglich, Ungewissheit zu akzeptieren. Das ist meine schwerste Übung. Ich hätte gerne Gewissheit.
Vor kurzem sagte jemand zu mir, die einzige Gewissheit bestehe aus Holz und sei viereckig. Doch nicht einmal dieser Gewissheit stimme ich zu: Was ist, wenn am Tag nach meinem Tod ein Gesetz erlassen wird, das die Verwendung von Holzsärgen verbietet? Dann würde mir die einzige Gewissheit genommen, an die ich in meinem Leben geglaubt habe. Was ist, wenn ich verfüge, verbrannt und in einer Urne bestattet zu werden? Dann nehme ich mir selbst diese Gewissheit.
Ein Großindustrieller baute sich eine Villa und wollte Gewissheit haben, dass nicht eingebrochen wird. Also ließ er dicke Stahlbetonmauern bauen, unterbrochen nur von dicken Stahltüren und Fenstern aus Panzerglas. Die Fenster konnte man aus Sicherheitsgründen nicht öffnen. Das Haus musste aufwändig klimatisiert werden. Als nach seinem Tod niemand mehr in diesem Gefängnis wohnen wollte, hatte man größte Schwierigkeiten, das massive Bauwerk abzureißen. Der Großindustrielle kam zu mir und sagte: Ich wollte Gewissheit haben und habe ein Gefängnis geschaffen.
Ich nehme an, dass morgen die Sonne aufgeht. Ist es gewiss? Ich habe mir angewöhnt, mich jeden Tag überraschen zu lassen von der Sonne und mich zu freuen, wenn sie wieder da ist. Ich glaube zu wissen: Der neue Tag bringt viele Überraschungen, aber ganz gewiss keine Gewissheiten.