Bleib am Leben!

Mein Vater starb viel zu früh für heutige Verhältnisse, mit Mitte fünfzig, und viel zu plötzlich, an einem Lungenkollaps. Der hatte sich, im Nachhinein betrachtet, angekündigt, als er sich monatelang kraftlos durch seine Tage schleppte, aber als Anfangzwanzigjähriger, der ich damals war, wurde ich von seinem Tod überrascht.

In meinen Träumen nach seinem Tod rannte ich über sonnige Wiesen, in denen er am Wegesrand erschien. Er stand da, scheinbar völlig genesen und doch unwirklich, irre, verrückt. Ich blieb stehen und er lächelte. War das das Glück, das ich mir wünschte? Ich konnte nicht stehenbleiben. Ich rannte weiter. Er blieb zurück und verschwand wieder.

In einem meiner Träume, ich rannte wie immer, bauten sich hinter mir dicke schwarze Wolken auf, dort, wo ich ihn zurückgelassen hatte. Jetzt stirbt er wieder, dachte ich. Ich rannte zu ihm zurück. Vater, rief ich, bleib am Leben! Es gibt noch etwas zu erledigen!

Als ich zu ihm zurückkam, erschien er wie Phönix aus der Asche. Es schien, als hätte er meinem Willen gehorcht. Der Regen, den die dicken schwarzen Wolken gebracht hatten, verzog sich und die Sonne kam raus. Ich legte mich vor ihm ins Gras. Er setzte sich zu mir und streichelte mir liebevoll über den Kopf. Dann erstarrte er und entschwand mir wieder.

Ich stand auf. Ich rannte nicht, ich ging ruhigen und kraftvollen Schrittes. Ich ließ ihn allein zurück. Und dennoch hatte ich das Gefühl, dass er bei mir blieb. War das seine Auferstehung? Ließ ich ihn gehen? War das Kind in mir nun bereit, sein eigener Vater zu sein?