Als ich lernte dass es keine Liebe gibt

Ich liege am Diwan in der Wohnküche meiner Großmutter. Im Ofen erlöscht langsam das Feuer. Ich sehe das Licht der letzten Funken durch die Ritzen leuchten. Ich schwitze am ganzen Körper, doch es schaudert mich. Kalt läuft es mir durch den ganzen Körper. Ich ziehe die Decke näher an mich. Es hilft nicht. Ich fühle mich wie nackt im kalten Schnee nach einem grauen Tag, an dem es zu dämmern beginnt.

Ich bin der geborene Prinz, der Wunschsohn, von allen geliebt: von meinem Vater, von meiner älteren Schwester. Sagen sie. Bei meiner Mutter bin ich mir nicht so sicher. Sie schien sich dem Wunsch nach einem Sohn nicht so sicher zu sein. Sie sagt es auch nicht. Dass sie mich liebt. Ihre Liebe muss ich mir hart erkämpfen. Doch sie ist es, bei der ich Wärme spüre, wenn sie mich umarmt. Wenn mein Vater und meine Schwester mich umarmen, spüre ich deren Unbehagen, als wollten sie jedes Aufkommen von Wärme vermeiden. Umso mehr muss ich kämpfen für die Umarmungen meiner Mutter.

Im Moment kann ich nicht kämpfen. Ich bin schwach. Sie haben mich zu meiner Großmutter gegeben. Über deren Umarmungen kann ich nichts sagen: Es gibt sie nicht. Ich wickle mich noch enger in die Decke, doch die Kälte in mir will nicht weichen. Ich muss gesund werden, schnell, damit ich für die Liebe meiner Mutter kämpfen kann. Für die Liebe, die mir Wärme gibt. Doch ich bin schwach. Wo ist meine Mutter? Mein Kopf sinkt erschöpft in das Kissen.

Da erscheint ein Gesang von Harfen und Klarinetten. Warm umhüllt er mich. Ich will mich aufrichten und in ihn eintauchen. Doch er tanzt mir davon. Bleib bei mir und umarme mich! Ich will ihn aufhalten, doch ich habe keine Chance. Er weitet sich zu einem großen Orchester. Seine gewaltige Kraft katapultiert mich in den kalten Schnee, der nun von Dunkelheit umhüllt ist. Ich kauere im Schnee und sehe Engel, die über mir schweben. Ich bin zu schwach, um mich zu ihnen emporzuschwingen. Sie tanzen mir fliegend davon. Ich will ihnen nach, doch kaum habe ich mich aufgerichtet, falle ich wieder. So geht das eine ganze Zeit, bis ich merke, dass mich die letzten Kräfte verlassen. Ich sinke gebrochen in den kalten Schnee. Zitternd lasse ich mich von der Kälte einnehmen, bis ich sie vor Erstarrung nicht mehr spüre. Es wird dunkler und dunkler in meiner Welt: in einer Welt ohne Liebe. Ganz weit weg sehe ich den letzten Engel entschweben.

Plötzlich schüttelt es heftig an meinen Wangen. Ich öffne die Augen und sehe das strenge Gesicht meiner Großmutter vor mir: „Was ist denn los, Bub?“ sagt sie mit strenger Stimme: „Was träumst du denn schon wieder?“