Dieses Jahr an Weihnachten hörte ich zum ersten Mal die zweite Orchestersuite von Johann Sebastian Bach in voller Länge. Nicht nur das berühmte Menuett und die berühmte Badinerie am Ende, sondern die Ouvertüre am Anfang, das Rondeau, die Sarabande, die Bourrée und die Polonaise zur Mitte und am Ende das Menuett und die Badinerie. Dabei wurde mir klar, dass ich einen Soundtrack für die Weihnachtszeit in meiner Kindheit gefunden hatte.
Als Kind war ich ein begeisterter Krippenspieler. Am ersten Sonntag des Advent stellte ich die Krippe auf. Am Rand des Brettes steckte ich Tannenzweige in vorgebohrte Löcher, um einen Tannenwald rund um die Krippe zu simulieren. Eine alpenländische Krippe. In den Stall stellte ich den Ochsen mit seiner Futterkrippe. Nach und nach kamen die HirtInnen mit ihren Schafen vorbei. Eine ordinäre Landszene, die sich über die ganze Adventszeit hinzog. Eine lange Ouvertüre, wie in Bachs Suite. Ich versuchte sie durch leichte Änderungen im Arrangement zu verkürzen.
Zwei oder drei Tage vor Weihnachten kreuzten dann Maria und Josef mit ihrem Esel auf, um das Lager für die Geburt ihres Sohnes zu beziehen. Jetzt wurde es gemütlich im Tannenhain. Die HirtInnen holten Holz und machten Feuer, während der Ochs, trotz Gesellschaft des Esels, seine Futterkrippe hergeben musste. Josef machte daraus ein Bettchen für das zu gebärende Kind. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass es woanders gemütlicher gewesen wäre für Maria, die Gebärende. Das Rondeau der Suite untermalt diese Gemütlichkeit.
Dann, endlich: Heiliger Abend, dessen feierlichen Charakter die edle und ernste Sarabande unterstreicht. Sie wiegt das Neugeborene in den Schlaf, während die hirtige Krippengesellschaft zu den Klängen der Bourrée aus dem Feiern nicht herauskommt. Zu Sylvester wird dann sogar mit einer Polonaise aufgewartet, und der eine Woche alte Jesus wackelt schon wacker mit. Man wollte nicht aufhören zu feiern, aber damit sich der Kleine beruhigt, wird er zum Menuett in den Schlaf gewiegt.
Inmitten all dieser Feierlichkeiten fragte ich mich spätestens im polonaisschen Sylvestertrubel: Wo sind die heiligen KönigInnen? Wieso brauchen sie bis zum sechsten Januar, um den Stern zu deuten? So weise können sie nicht sein, wenn sie die ganzen Feierlichkeiten verpassen. Da waren die HirtInnen schlauer. Das Menuett machte mich melancholisch. Aber es half nicht: Erst am sechsten Januar kamen sie daher mit ihrem Dromedar, um der ganzen Gesellschaft eine würdevolle Krone aufzusetzen, umtermalt mit der wirbelnden Badinerie. Es war wie eine letzte Ekstase. Denn kaum war der letzte Klang verklungen, sagten sie schon: Bald kommt Herodes, der Kindermörder, um die Ecke.