Ich bin verstummt. Wo alle Worte zuwenig sind, da ist jedes Wort zuviel. Durch dich habe ich die Reise in die Tiefe angetreten, und dafür liebe ich dich. Auf dieser Reise in die Tiefe verlieren die Worte, die ich an der Oberfläche verwende, ihre Bedeutung, und je tiefer es geht, desto mehr werden sie zu treibenden Floskeln an der Oberfläche.
Durch dich habe ich die Angst überwunden, in die Tiefe zu tauchen. Es ist dunkel und schwarz. Du bist immer bei mir, denn erst durch dich begegne ich mir, und ich begegne etwas, was ich an der Oberfläche Verstrickungen nennen würde, aber in der Tiefe ist es dichter. Hier sind es Betonmauern, die sich auftürmen, und ich irre umher im Betonmauernlabyrinth. Ich treffe dich aber immer wieder. Ich habe keine Angst, dich nicht zu treffen. Und was ich eben noch Betonmauern nannte, löst sich auf wie weicher Sand. Die Worte haben keine Bedeutung mehr.
Du siehst, ich will viel. Vielleicht will ich alles im Dunkel dieses unendlichen Falles. Es leben so viele und wollen nichts, und sind durch ihres leichten Gerichts glatte Gefühle gefürstet. Du aber erfreust dich meines Gesichts, das dir dient und nach dir dürstet.
Die Angst ist nicht weg: Ich habe Angst, noch weiter in diese Tiefen zu tauchen, weil ich mir immer noch Gewissheiten erhoffe, die mir die Worte an der Oberfläche geben. Ich liebe dich, sage ich, und glaube es nicht. Doch dann sehe ich dich wieder, du meine Liebe und du mein Licht, und ich werde ergriffen vom Steigen unseres lichtzitternden Spiels. Ich habe Lust, mit dir und durch dich in die werdenden Tiefen zu tauchen, wo sich das Leben ruhig verrät.
Passagen des Textes entnommen aus:
Rilke, Stundenbuch