Als Kind saß ich wie gebannt vor dem Radio und lauschte der Stimme Wolfgang Acquodios, wenn er seine Geschichten aus dem Tierreich erzählte. Er erzählte von den Tieren im Wald, wenn sich Fuchs und Dachs nach ihrem Tagwerk abends in ihrer gemeinsamen Höhle treffen, oder wenn sich die Rehe unter dem dichten Tann zum Schlafen zusammenkuscheln. Ich lag anschließend in meinem Bett und stellte mir vor, bei Fuchs und Dachs oder bei den Rehen zu sein, und schlief mit einem Gefühl großer Geborgenheit ein.
Jedenfalls hat sich die Stimme Wolfgang Acquodios so in mir eingebrannt, dass ich sie neulich – nach all den Jahren seit meiner Kindheit vor dem Radio – erkannte, als ich im Park unterwegs war. Da redete ein älterer Herr mit einer älteren Dame, anfangs war ich irritiert ob der Vertrautheit der Stimme die da sprach, einer Vertrautheit, die wie aus einer fernen Zeit klang, bis sich in mir alles zusammenfügte, und ich sie als die Stimme Wolfgang Acquodios erkannte.
Ergriffen blieb ich stehen, gab mich schließlich zu erkennen und fragte: Sind Sie Wolfgang Acquodio? Acquodio verzog fast keine Miene, ich glaube, er fühlte sich gestört und geschmeichelt zugleich, ich hatte Zeit, ihn und die Dame zu betrachten, wie sie dastanden am Teich mit ihren Pelzmänteln und strengen Frisuren, die Dame gezeichnet von mehreren Schönheitsoperationen. Ich konnte mir ein ausführliches Bild machen, doch bevor ich begann, es zu interpretieren, antwortete Wolfgang Acquodio auf meine Frage mit einem Ja. Szenen meiner Kindheit spielten sich daraufhin in meinem Kopf ab, die Geborgenheit des Waldes, bei Dachs, Fuchs und Rehen, Bilder, die so gar nicht zu dem Bild passten, das gerade vor mir war: Zwei harte alte Menschen, die mir unerbittlich erschienen, es war schwer zu ertragen, das Bild schrie nach Auflösung, wahrscheinlich deshalb sagte ich: Der Teich hier ist schön.
Acquodio wandte sich daraufhin zum Teich, in der seitlichen Silhouette sah sein Gesicht noch strenger aus, und sprach: Das Tierreich im Teich ist vom Wasser ganz weich! Dann nahm er die Dame mit dem starren Schönheitsgesicht beim Arm und schritt mit ihr davon.
Erstarrt starrte ich auf den Teich, einerseits ergriffen vom poetischen Satz der Stimme meiner Kindheit über das Tierreich im Teich, anderseits entsetzt über meine unbedachte Äußerung über den Teich: Acquodio hat immer Geschichten über den Wald, nie welche über das Wasser erzählt. Wie konnte ich nur den Teich erwähnen! Dazu noch sein Name – Acquodio – was soviel bedeutet wie: Wasser hasse ich. Doch was steht er auch am Teich, dieser Wasserhasser, dieser Boscamo, dieser Waldlieber!
Ich zog meine Schuhe aus und hielt meine Füße in das Wasser des Teichs. Mit der Gewissheit, meine Kindheit nun endgültig hinter mir gelassen zu haben.