Als ich zum ersten Mal L’ami de mon amie von Eric Rohmer sah, es war wohl um das Jahr 2000 herum, verliebte ich mich heftig in die Hauptdarstellerin Emmanuelle Chaulet. Tagelang hatte ich Sehnsucht nach ihr, ich wollte bei ihr sein in Cergy-Pontoise, einer auf dem Reißbrett entworfenen Trabantenstadt bei Paris, wo der Film spielt. Meine damalige Freundin fragte mich, was mit mir los sei, sie bemerkte meine heftige Verliebtheit, was nicht schwer war, denn ich war zu Tränen gerührt, jedesmal wenn ich an Emmanuelle Chaulet dachte, so groß war meine Sehnsucht, aber ich sagte nichts, aus Angst, meine Freundin würde mich verlassen. Denn so groß meine Verliebtheit war, fast so groß war meine Angst vor dem Verlassenwerden. Wenige Wochen später verließ mich meine Freundin, so empfand ich es damals, heute sage ich: Wir haben uns verlassen. Ich fuhr trotzdem nicht nach Cergy-Pontoise, um Emmanuelle zu sehen, zu groß war die Angst vor Enttäuschung. Sie würde nicht da sein, meine Traurigkeit ins Unermessliche steigen. Ich fand heraus, dass Emmanuelle Chaulet inzwischen in den USA lebte, außerdem fand ich heraus, dass ich in Wahrheit Blanche liebte, wie Emmanuelle in ihrer Rolle heißt. Eric Rohmer machte keinen Unterschied zwischen Filmfigur und realer Person, ich in diesem Fall schon. Dieser Unterschied half mir, wieder zu mir zu kommen. Als ich L’ami de mon amie zum ersten Mal sah, war ich ungefähr in Blanches Alter, während Emmanuelle Chaulet älter geworden war. Raum und Zeit war gegen diese Liebe. Diese Liebe musste eine unglückliche bleiben, nein, nicht diese Liebe: dieses romantische Bild von Blanche. Rohmer war ein Romantiker, der die Romantik entzauberte: Seine Figuren sind bürgerliche, verkopfte Spießer auf der Suche nach ihren Gefühlen. Das kommt mir im nachhinein sehr realistisch vor was meine Realität betrifft.
Vor einigen Tagen habe ich mit Josefine wieder L’ami de mon amie angesehen. Es war ein gewagtes Experiment und nahm den erwarteten Ausgang: Ich verliebte mich wieder heftig in Blanche, es ging nicht anders, zu genial erzählt Rohmer diese Geschichte mit seinen Bildern. Ergriffen lag ich Josefine in unserem kleinen Heimkino in den Armen.
„Ich habe mich in Blanche verliebt“, sagte ich.
Josefine drehte sich zu mir, lächelte und sah mir in die Augen: „Ich weiß. Ich mag es, wenn du dich in Blanche verliebst, mon douce Emile!“
Am nächsten Tag ging ich durch Schwabing, mit mindestens so viel Liebe wie Rohmer durch sein Paris. Ein bisschen wünschte ich mir, in Cergy-Pontoise zu sein, bei Blanche. Ich kam an einem Blumenladen vorbei. Neben der offenen Tür stand: Wegen Corona – Blumen nur auf Bestellung. Ich rief durch die Tür hinein: „Ich möchte gerne rote Rosen bestellen!“ Dann setzte ich meine Maske auf, ging durch die Tür in den Laden hinein und sagte: „Ich habe roten Rosen bestellt.“