2 Die Ruhe in der Unruhe
Fortsetzung von Teil 1
Begegnung, so sagen gerade viele, ist im Moment, in Corona-Zeiten, nicht möglich, aber für mich, der ich alleine wohne, sagt Uteto Fritz, ist Begegnung im Moment mehr möglich als sonst, Begegnung mit mir selbst, meine umfassende körperlich-geistig-seelische Selbstbegegnung erfüllt mich mehr als ein verlogenes Tinder-Date, ich spüre mich mehr als sonst, weil ich Zeit habe, anzuhalten und mich zu beobachten, manchmal ist das eine harte Übung, bei der ich Widerstände überwinden muss, denn meine Ahnen haben, wie die ganze Menschheit, viel Selbstverleugnung betrieben in all den gelebten Jahrhunderten, viel Schmerz hinuntergeschluckt, diesen Schmerz in sich gespeichert und weitergegeben, und dieser Schmerz, lasse ich ihn zu, ist groß und schmerzvoll, und es befreit mich ungemein, ihn zuzulassen.
Begegnung, wie sie viele sonst konsumieren, ist im Moment, in Corona-Zeiten, nicht möglich, in Shoppingcentern, in Fitnessstudios, in Cafés und Gastwirtschaften. Sie laufen deshalb im Freien herum, oft in Parks und Grünanlagen, wo sie Abstand halten können, und klammern sich bei diesem Laufen an ihre mitgebrachten Kaffeebecher und mobilen Endgeräte.
Ich lehne mich an meinen Baum, der von der Wintersonne bestrahlt wird, an dem ich Ruhe finde, an dem ich mir und dem Universum begegne, währenddessen laufen sie an mir vorbei mit ihren Kaffeebechern und ihren mobilen Endgeräten und ihrer Unruhe, und sie glauben, dass sie Abstand halten, aber sie halten keinen Abstand, im Gegenteil, sie vergewaltigen ihre Umgebung, konsumieren sie wie einen Kaffee oder ein Tinder-Date, kein Begegnen, sondern ein Davonlaufen, sie haben nicht nur Kaffee und mobile Endgeräte dabei, sondern auch riesige Hamsterräder, mit denen sie durch die Gegend rattern, sie rattern lärmend durch die Gegend und kommen nicht auf die Idee, die Hamsterräder anzuhalten und aus ihnen auszusteigen, zuviel Angst, was dann passieren würde, nämlich nichts außer Ruhe und Begegnung mit sich selbst, diese Begegnung in der Ruhe wäre vielleicht eine Begegnung mit der eigenen Unruhe, dann lieber weiter im Hamsterrad, Kaffee schlurfend und pausenlos redend, ins mobile Endgerät oder zum benachbarten Hamsterrad, Sprache energetisiert nicht, sondern lenkt ab, ich rufe laut: Steigt aus aus euren Hamsterrädern und haltet mal für fünf Minuten euren Mund!, aber mein Ruf verhallt ungehört, die Hamsterräder rattern zu laut, sie rattern noch lauter während ich rufe, so empfinde ich es, durch das Hamsterradgeratter höre ich ein höhnisches Gelächter und einer ruft: Schaut mal, wie der armselig am Baum steht, ganz ohne Hamsterrad!
Ich spüre den von der Wintersonne erwärmten Stamm des Baums an meinem Rücken, ich spüre meine Wut und meine Enttäuschung darüber, mich selbst immer wieder täuschen zu wollen, indem ich glaube, mir auch ein Hamsterrad anschaffen zu müssen, aus Angst, sonst allein zu sein, sagt Uteto Fritz.
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