Fortsetzung von Teil 1
In München war er noch immer geladen, er setzte sich an den Computer und legte sich eine Netzidentität zu, er nannte sich Prag Matiker, der Mathematiker aus Prag, es kam ihm genial vor, er legte sofort los und postete: Drosten der Pfosten, Drosten, das ist der Mann, den er im Radio gehört hatte und der ihn so wütend gemacht hatte, dieser Drosten kam ihm müde und erschöpft vor, aber dieser Drosten redete und redete wie ein Politiker, er redete von Viren und Infektionskontrolle, Kontrolle, da war es wieder, dieses Reizwort, dieser Drosten leidet an Angst vor Kontrollverlust, genauso wie er, dieser Drosten hat eine Manie gegenüber Viren und ihrer Infektiosität, das hat ihn so wütend gemacht, aber so weit konnte er nicht denken in seiner Wut, er ging auf volle Attacke gegen diesen Drosten.
Pavel, sein Hund, der ihn immer an Pavela erinnerte, saß in seiner Wut neben ihm, und so wurde auch Pavel vernetzt, er gab Pavel den Netznamen Dog Matiker. Pavel stand auf Knochen und Fleisch wie Drosten auf Viren, er verbiss sich manisch an ihnen, Pavel war ein wütender Hund, der nicht leicht zu halten war, trotzdem liebte Jiří Pavel, Pavel gab ihm etwas, das ihm fehlte, vielleicht die Wut, die ihm gefehlt hatte und die ihm jetzt nicht mehr fehlte, jetzt, wo sie sich an diesem Drosten verbeißen konnte.
Alles mutiert im Leben, schrieb Parma als Prag Matiker, zum Beispiel wenn eine Frau plötzlich sagt: Ich liebe dich nicht mehr, niemand hat ein Recht auf Beständigkeit, nicht einmal die Mathematik, die die Welt logisch erfassen will, niemand kann den Viren ihr Recht auf Mutation verweigern, sie mutieren ohne Einverständnis, das kann nicht einmal Herr Drosten mit seinem Kontrollwahn verhindern, ich wünsche ihm, von seinem Kontrollwahn loszulassen, ich wünsche ihm die Freiheit, zu leben und dabei den Tod zu riskieren, das wünsche ich der ganzen Menschheit, manchmal wünsche ich der ganzen Menschheit, dass sie einfach aufhört zu leben und diesen Planeten endlich in Ruhe lässt.
Jiří Parma, der Mathematiker, war ein Star im Netz, natürlich nicht als Jiří Parma, sondern als Prag Matiker, Prag Matiker war eine Ikone der Querdenker, andere beschimpften ihn als Rechtsradikalen und glaubten herausgefunden zu haben, dass er aus einer Familie von Nazis stammt, die sich nach dem Krieg als Tschechen ausgegeben haben und nur deshalb nicht aus dem Sudetenland vertrieben wurden.
Mitten in seiner Prag Matiker-Drangphase träumte Jiří von Pavela, sie sagte zu ihm: Nedrž se mě!, das ist tschechisch und heißt soviel wie Klammere dich nicht an mich! Das klang schön, viel schöner als Už tě nemiluji. Nachdem Pavela Nedrž se mě! gesagt hatte, gab sie Jiří einen sanften Kuss, er fühlte sich geliebt nach diesem Traum, er hatte sich noch nie so geliebt gefühlt. Am nächsten Morgen löschte er seine Identität als Prag Matiker. Pavel, den Hund, musste er einschläfern lassen, nachdem er einer Frau ein Bein abgebissen hatte. Seitdem geht er alleine spazieren und denkt dabei oft an Jiří Parma, den Schispringer, wie er sanft die Hänge von Harrachov entlanggleitet und butterweich landet, mit einem wunderschönen Telemark. Das beruhigt ihn ungemein, das freut ihn, und er wünscht sich, dass Drosten ihm verzeiht, Drosten, an dem er sich in seiner grenzenlosen Wut verbissen hatte.