aus den kürzlich (wieder)entdeckten Memoiren des kaiserlich-königlichen Oberstleutnants Rudolf Bertl, die ein völlig neues Licht auf die österreichische Kriegserklärung im Sommer 1914 werfen:
Ich saß im Zug von Wien nach Bad Ischl. Der Kaiser hatte mich eingeladen in seine Sommerresidenz. Was wollte er? Wollte er mir schmeicheln? Suchte er in seiner Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen, bei mir Rat? Eines war sicher: Ich unterstützte die These des unausweichlichen Kriegs, da mochte der Alte noch so viel vom Frieden reden.
„Mein lieber Bertl, seien Sie gegrüßt!“ hieß er mich persönlich am Bahnhof willkommen. Wir spazierten mit dem kaiserlichen Tross zu seiner Villa. Der Kaiser war alt aber fröhlich an diesem Tag. Eine junge Frau mit ihrem Hund kam uns entgegen, und als sie an uns vorbeigegangen war, sagte er: „Ein so ein fesches Dirndl mit ihrem Hunderl! Überhaupt, das Ischl, so griabig mit seinen putzigen Häuserln und den lieben Menscherln, und den Bergerln ringsherum!“
Ich muss wohl etwas komisch geschaut haben, denn der Kaiser meinte, nachdem er mich mit seinen Blicken geprüft hatte: „Bertl, schaun’S ned so komisch! Ist es Ihnen vielleicht unangenehm, dass ich in Ischl alle Hauptwörter mit einem L verniedliche? Daran müssen Sie sich gewöhnen! Das mach ich hier so, schließlich sind wir in Ischl und nicht in Isch. Im übrigen würd ich auch zu Wien gern Wienerl sagen, aber dort kann ich mich zusammenreissen. Sein’S froh, dass Sie schon Bertl heißen, denn den da hinten – er zeigte auf General Hermann Hinterstoisser, der uns auch begleitete – denn nenn ich immer Hinterstoisserl.
Daraufhin, in einem Anflug von Jugendlichkeit, fing er zu singen an und trällerte folgendes Lied für den Rest des Weges:
Übers Bacherl bin i gsprunga
übers Wieserl bin i grennt
und da hat mi mei liabs Dirnderl
an mein Juchizer glei erkennt
Später, wieder in Wien, als der unausweichliche Krieg längst in vollem Gange war, saßen wir bei einer Lagebesprechung mit dem Alten. Mittlerweile hatte er sich geistig vollkommen von dieser Welt verabschiedet, obwohl er immer noch Tag und Nacht über den Akten brütete. Bei dieser Besprechung sank er plötzlich in seine Stuhllehne und stieß einen sehnsuchtsvollen Seufzer aus, dem er ein „Komm Ischl!“ folgen ließ. Ich verstand in diesem Moment, der alle am Tisch verwirrte, komischl statt Komm Ischl und dachte: Bald schlägt seine letzte Stunde, jetzt verniedlicht er nicht nur Hauptwörter mit einem L, sondern auch Eigenschaftswörter. Und das mitten in Wien! „Schaun’S ned so komischl, Bertl: Wenn’s Kriegerl sein muss, muss es sein!“ sagte er mir mit seinen müden Blicken.