Jakob ist mein zwölf Jahre alter Sohn. Jedes zweite Wochenende verbringen wir beide schöne Stunden, wie ich es nenne. Gerade neigen sich diese schönen Stunden wieder einmal dem Ende zu. Wir sind unterwegs zu Jakobs Mutter Paula. Paula war vier Jahre lang meine Lebensgefährtin. Als Jakob zwei war, trennten wir uns. Paula hatte gemeint, wir sollten uns trennen, weil sie meine Passivität nicht mehr aushält. Sie will einen Mann, keinen Waschlappen, sagte sie. Ich habe das widerstandslos hingenommen, weil mich Paulas Temperament ohnehin überforderte.
Als wir ankommen, öffnet uns Paula mit feuchten Augen die Tür. Jakob verdrückt sich gleich in sein Zimmer. Es schmerzt mich jedesmal, mich von ihm zu verabschieden. Es schmerzt mich immer mehr, weil ich weiß, dass er immer größer wird, und in nicht allzu ferner Zukunft ist er kein Kind mehr, sondern ein Pubertierender. Ich stehe etwas ratlos in der Tür und sehe in Paulas feuchte Augen.
„Guck nicht so!“ sagt sie: „Ja, ich habe gerade geweint. Stell dir vor!“
„Was ist denn los?“ frage ich unbeholfen.
„Lilly hat sich gerade mal wieder wutentbrannt aus dem Staub gemacht. Sie redet nicht mehr mit mir; will zu ihrem Vater ziehen; aber der will keinen Kontakt zu ihr. Ist ihm zuviel. Sagt er.“
Lilly ist die siebzehnjährige Tochter Paulas aus ihrer Beziehung vor mir.
Ich stehe weiter ratlos in der Tür und mache ein betroffenes Gesicht.
„Mach nicht so ein betroffenes Gesicht!“ sagt Paula. „Ich weiß, dass du nichts tun kannst und nichts tun willst. Genauso wie damals, als wir zusammen waren. Der große Schweiger und alle Last auf mir!“
Paula macht eine Pause, um sich zu sammeln und durchzuschnaufen. Dann fragt sie: „Wie ging’s Jakob die zwei Tage mit dir?“
„Gut.“
„Gut? Gut! Natürlich! Habt ihr eure schönen Stunden verbracht, und jetzt bringst du ihn mir wieder, damit ich den Alltagsdreck erledige.“
Ich stehe in der Tür und fühle mich wehrlos gegenüber dem, was von Paula auf mich einprasselt.
Paula fährt fort: „Ich habe das Gefühl, er zieht sich allmählich genauso von mir zurück wie Lilly. Beide wollen sie zu ihren Vätern, aber die Väter sind nicht da, wenn man sie braucht.“
Ich mache einen unbeholfenen Versuch, Paula zu umarmen, den sie sofort abwehrt: „Geh! Geh einfach! Geh zurück in dein Schneckenhaus und lass mich in Ruhe!“
Ich blicke an Paula vorbei den Gang entlang in die Richtung von Jakobs Zimmertür und hoffe, dass er nochmal rauskommt, um sich von mir zu verabschieden. Aber er kommt nicht. Unsicher und halbherzig will ich mich umdrehen, um zu gehen.
Plötzlich sagt Paula, scheinbar gefasst und sehr bestimmt: „Ich bin so froh, dass ich sie abtreiben habe lassen! Noch ein Kind, für das nur ich zuständig gewesen wäre – das hätte ich nicht ausgehalten!“
Ich bleibe in halber Drehung stehen.
„Unsere Tochter! Sie wollte kommen. Ich habe es gespürt damals!“ sagt Paula. „Ich wollte sie, aber die Vernunft sagte mir, dass es nicht geht. Vielleicht war ich zu vernünftig, aber ich habe es getan. Und dir war doch sowieso alles egal.“
Zögerlich drehe ich mich wieder um zu ihr.
„Nein, nichts mehr! Geh jetzt! Geh!“ schreit sie mir ins Gesicht.
Ich gehe zur Straße. Auf dem Gehweg sinke ich zu Boden. Ich weine und sehe meine Tränen auf den trockenen Asphalt fallen. Das ungeborne Kind. Jakob! Paula! Helft mir doch!