Ich spielte mit meinen Kindern im Wohnzimmer, sagt Mitterbichler, da kamen meine Schwiegereltern noch einmal herein für den Moment, vor dem sie sich eigentlich drücken wollten: Gleich würden sie zum Bahnhof fahren und in einen Zug einsteigen, der sie nachhause nach Bremen bringt. Sie drückten ihre Enkel, meine Schwiegermutter sehr körperlich, mein Schwiegervater mehr in Gedanken. Meine Schwiegermutter meinte, es hätte schlimmer kommen können: Amerika, Australien, zum Beispiel. Da ist es doch ein Glück, dass es nur München geworden ist. München – Bremen, das ist doch eigentlich keine Entfernung in der heutigen Zeit. Und trotzdem: Abschied ist ein Schaf so schwer, sagte meine Schwiegermutter, um dem Schmerz mit Humor zu begegnen, sagt Mitterbichler.
Als sie das sagte – Abschied ist ein Schaf so schwer – kamen Erinnerungen in mir hoch, sagt Mitterbichler. Erinnerungen an Abende auf dem Sofa, als Kind, als im Fernsehen die ZDF-Hitparade lief mit Dieter-Thomas Heck und Roger Whittaker Abschied ist ein scharfes Schwert sang. Zu dieser Zeit starb mein Großvater, der Vater meiner Mutter, meint Mitterbichler daraufhin: Ich spürte die Traurigkeit zuhause im Wohnzimmer, wo die Familie versammelt war. Ich stellte mich auf einen Stuhl, als eine Art Bühne, und sang voller Inbrunst Abschied ist ein scharfes Schwert. Ich glaube, es war das erste eigene Konzert das ich gab, als damals Achtjähriger. Meine Mutter weinte hemmungslos, sagt Mitterbichler.
Später, als Student, trat ich mit meiner Band auf Festen und Bällen auf, wo wir Schlager interpretierten, um Geld zu verdienen. Bald kam mir die Idee, Abschied ist ein scharfes Schwert als Schlusslied bei diesen Festen und Bällen zu spielen. Wir probten das Lied. Unser Bassist und unser Schlagzeuger waren sehr gelangweilt wegen der Eintönigkeit ihrer Linien in diesem Lied. Ich versuchte dem zu begegnen, indem ich es mit dem Whittakerschen Akzent ziemlich übertrieb und hatte großen Spaß dabei. Oder war der Spaß nur so groß, weil so großer Ernst dahinter war? Zwischen Konsti, meiner ersten großen Liebe, und mir kriselte es damals nämlich gewaltig. Außerdem wollte sie nach Göttingen zum Studieren. Ein Abschied stand im Raum. Bei den Proben war ich deswegen einmal so durcheinander, dass ich statt scharfes Schwert Schaf so schwer sang. Abschied ist ein Schaf so schwer waren seitdem geflügelte Worte innerhalb der Band. Scheinbar auch in Bremen. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass meine geflügelten Worte von meiner Schwiegermutter zitiert wurden, sagt Mitterbichler.
Als wir für einen großen Ball engagiert wurden, beschlossen wir, das Lied zum ersten Mal vor Publikum zu spielen. Ich setzte mir eine große Brille auf, wie Roger Whittaker sie immer trug, und versuchte, seinen schmachtenden Akzent so gut wie möglich nachzuahmen. Konsti und Kathi waren als Backgroundsängerinnen dabei, obwohl Konsti und ich uns gerade getrennt hatten. Da flossen bei mir die Tränen hinter der dicken Brille, sagt Mitterbichler.
Meine Schwiegermutter drückte ihre Enkel noch einmal an sich, während mein Schwiegervater die Wohnung schon verlassen hatte. Es ist anzunehmen, dass er im Treppenhaus, wo er wartete, ein paar stille Tränen verdrückte, sagt Mitterbichler. Da war er also, der Moment des Abschieds. Opa Oma Bahnhof, sagte meine Tochter zu mir, als wir am Fenster standen und den beiden nachsahen und winkten. Als wir sie nicht mehr sahen, nahm ich meine Gitarre und gab ein kleines Konzert, wie in alten Zeiten: