Ich las folgenden Tweet:
Egal wie albern du bist – jeder, der in Tirana geboren ist, ist Albaner.
Als Antwort stand darunter:
So geil dein Humor, echt klasse!
In diesem Moment wurde mir klar, dass ich nur noch in diesen kleinen Bildschirm hineinstarre und mir Scheiße in mein Hirn ziehe. Ich sollte ein Buch lesen: Madame Bovary oder Der Zauberberg. Aber ich schaffe es nicht. Stattdessen starre ich nur noch auf diesen kleinen Bildschirm, aus Angst, sonst etwas zu verpassen.
Ich hätte zum Arzt gehen sollen, sagen, dass ich süchtig bin nach diesem kleinen Bildschirm; dass ich mir eine App nach der anderen runterlade. Stattdessen ging ich auf die Straße. Ich ging über die Straße, als die Ampel rot war, weil meine Ampel-App mir anzeigte, dass die Ampel grün ist. Oder zeigte mir die Ampel-App, dass es rot war und ich habe sie nicht beachtet, weil ich mit einer anderen App beschäftigt war? Ich weiß es nicht mehr. Ein Auto erfasste mich, doch wie durch ein Wunder hielten sich meine somatischen Verletzungen in Grenzen. Nur ein paar Prellungen. Dafür sollten meine psychischen Probleme nun zum Thema werden.
Im Krankenhaus schilderte ich, noch schockiert vom Aufprall, den Unfallhergang aus meiner Sicht. Ich wurde daraufhin an einen Psychiater überwiesen, der zu mir sagte:
Herr Hinterstoisser: In Ihrer Krankenakte steht, dass Sie bereits zum dritten Mal mit Ihrem Smartphone in der Hand in ein Auto gelaufen sind und einen Unfall verursacht haben. Wie durch ein Wunder sind Sie jedesmal mit leichten Verletzungen davongekommen, auch dieses Mal, beim dritten Mal. Doch jetzt müssen wir der Wahrheit ins Auge blicken: Sie sind süchtig. Sie sind ein Digital-Junkie!
Diese Aussage traf mich wie ein Schlag. Anfangs wollte ich mich wehren, wollte dem Arzt sagen, dass seine Behauptung unverschämt ist. Doch dann hielt ich inne und mir wurde klar: Ich hatte sie längst gespürt, meine Sucht, ich wollte sie bloß nicht wahrhaben. Die knallharte Wahrheit nun von jemand anderem zu hören, haute mich zunächst einmal um. Mir wurde schwindelig und ich wurde ohnmächtig. Als ich wieder zu mir gekommen war, ein paar Schluck Wasser getrunken hatte, fragte ich den Arzt:
Was nun?
Nun: Wenn Sie so weitermachen, verlieren Sie vollkommen den Bezug zu Ihrer körperlichen Realität. Sie werden nicht nur von weiteren Autos überfahren werden, weil Sie sie nicht wahrnehmen, nein, Sie werden auch nicht mehr bemerken, wenn Sie aufs Klo müssen und einfach drauflos machen. Das könnte man mit Windeln lösen, natürlich. Aber wollen Sie das?
Nein.
Dann empfehle ich Ihnen dringend eine strikte analoge Diät. Ansonsten kommen Sie nicht los von Ihrer digitalen Sucht. Sie müssen sich ab sofort mit sich und Ihrer Umwelt auseinandersetzen, ohne Benützung digitaler Mittel wie Ihrem Smartphone.
Wie soll das gehen?
In einem tiefen Wald besitze ich ein kleines Häuschen, das auf einer kleinen Lichtung steht. Ich habe mir das Häuschen für mich, aber auch für Härtefälle wie Sie angeschafft, um die Bedingungen für eine optimale digitale Entzugskur zu schaffen. Keine Angst: Ich heiße nicht Emerson und Sie sollen nicht der zweite Thoreau werden! Sie sollen lediglich wieder zu sich finden. Hier ist der Schlüssel und eine Wegbeschreibung. Navigieren Sie sich nicht mit GPS dorthin! Sie haben Ihre sechs Sinne, die Sie dort hinleiten werden! Das ist der erste Schritt zu Ihrer Entwöhnung; der erste Schritt in Ihr neues Leben!
Aber ich kann doch nicht ohne mein Smartphone…
Doch, Sie können! Sie werden essen, sich bewegen, schlafen. Wenn Sie Ansprache brauchen, sprechen Sie mit den Bäumen! Sie werden Ihnen geduldig zuhören. Schreiben Sie auf, was Sie mit Ihnen besprechen!
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