Krempelhuberplatz

Es war dunkel, was mich erstaunte, denn um diese Jahreszeit war die Nacht – die Dämmerung nicht eingerechnet – nur etwa sieben Stunden lang. Ich hätte also genügend Zeit gehabt, wenn ich richtig rechne, siebzehn Stunden, den Krempel am hellen Tag einzusammeln. Hatte ich so getrödelt, oder gab es so viel Krempel, der vor den Häusern gestanden und mit ZU VERSCHENKEN markiert war, dass ich es nicht schaffte, vor der Dunkelheit aufzubrechen?

Der Wagen holperte und stolperte über den unebenen Weg durch den Wald, mit mir und dem ganzen Krempel darauf. Ich blickte nach oben und sah die schwarzen Blätter, die an mir vorbeirauschten. Ich bezweifelte allmählich, ob es wirklich eine gute Idee war, mit dem Krempel zum Krempelhuberplatz zu fahren. Währenddessen kam ich aus dem Wald ins Freie, ich sah dunkle Wolken über mir, sodass ich meine Vermutung, die ich im Wald hatte, nämlich dass es Nacht sei, revidierte und meine neue Wirklichkeit so aufstellte: Es war Tag, der durch die dunklen Wolken am Himmel im Wald wie Nacht erschienen war. Um mich vollends zu überzeugen, blickte ich noch einmal zum Wald zurück und sah, dass aus den schwarzen Blättern grüne Blätter geworden waren.

Der Krempel am Wagen schepperte weiter, unabhängig davon, ob es Nacht oder Tag war. Endlich am Krempelhuberplatz angekommen, lud ich den Krempel ab. Ein Mann stieß zu mir, der sich als Hempel vorstellte. Hempel sagte, ich könne hier nicht den ganzen Krempel abladen. Ich bräuchte dazu eine Genehmigung der Stadtverwaltung.
Ich habe bereits beantragt, sagte ich daraufhin, meine Krempelabfuhr in die Stadtverwaltung eingliedern zu lassen. Diesem Antrag sei jedoch noch nicht stattgegeben worden. Deshalb muss ich mein Unternehmen einstweilen privat führen, mit allen Gesetzmäßigkeiten des freien Marktes. So dachte ich, es wäre aus werbetechnischen Gründen gut, den Krempel am Krempelhuberplatz abzuladen.

Am Krempelhuberplatz

Hempel ließ sich davon nicht überzeugen, und so fragte ich, ob Herr Krempelhuber selbst da sei, damit ich ihn fragen kann, ob ich den Krempel auf seinem Platz abladen darf. Nein, sagte Hempel, Krempelhuber ist nicht da. Der sei in der Botanischen Staatssammlung in einem Gebäude, welches ein gewisser Stempel errichten ließ.

Mittlerweile schien die Sonne am Himmel, die Wolken waren verschwunden. Es war Tag, ganz eindeutig, und ich fragte mich, wie es so schnell Tag werden konnte, wo doch vorhin im Wald noch tiefste Nacht war. Waren daran der Wald schuld oder die Wolken? Oder weder noch? Oder sowohl als auch? Hempel wusste darauf auch keine Antwort, und so setzte ich mich auf den Wagen und fuhr ab zur Botanischen Staatssammlung, um dort Krempelhuber im Gebäude von Stempel zu treffen, während Hempel mir hinterherrief, gefälligst meinen Krempel wieder mitzunehmen.

 

Der Krempelhuberplatz befindet sich im Münchner Stadtteil Lerchenau. Er ist benannt nach August von Krempelhuber. Krempelhuber war ein Botaniker, der sich besonders mit Flechten befasste. Seine umfangreiche Sammlung ist heute Bestandteil der Botanischen Staatssammlung Bayerns. Die Botanische Staatssammlung ist in einem Gebäude in der Menzinger Straße in München untergebracht, das unter Denkmalschutz steht und vom Architekten Ludwig von Stempel geplant wurde.