Archiv für den Monat: März 2024
Über Fall und Überfall
In der Stadt, über die zu berichten ist, gibt es Fälle und Überfälle. Über die Fälle berichtet, und das ist kein Zufall, ein gewisser Faller, über die Überfälle ein gewisser Überfaller. Viele glauben zunächst, Faller sei eine Art Allgemeinberichterstatter und Überfaller eine Art Spezialberichterstatter. Es ist jedoch genau umgekehrt: In der Stadt gibt es nämlich kaum Fälle, aber viele Überfälle. Die Stadt ist auf sehr flachem Gelände erbaut und die Häuser sind in Bungalow-Bauweise errichtet, wodurch es kaum Möglichkeiten für Fälle gibt. Andererseits sind die Bewohner der Stadt sehr offen und so auch ihre Häuser, wodurch es viele Gelegenheiten zu Überfällen gibt, die auch genutzt werden. Überfaller ist also ein vielbeschäftigter Berichterstatter, während Faller nur in äußerst seltenen Fällen herangezogen werden muss. Die Stadtverwaltung hat schon oft versucht, die Bewohner zu mehr Verschlossenheit zu animieren und ihre Häuser in Abwesenheit zu verschließen, um Überfälle zu minimieren, aber vergeblich. die Bewohner sind sehr stolz auf ihre Offenheit und lassen deshalb konsequenterweise in Abwesenheit ihre Häuser offen. Die Stadt wird von manchen Offen genannt, aber bekannt ist sie unter dem Namen Überfall.
Überfall ist keine sehr große Stadt, aber trotzdem erstreckt sie sich weit in die Ebene, weil es nur ebenerdige Bungalows gibt. Überfall war die erste Besiedelung in der Ebene. Vor nicht allzuferner Zeit verließen viele Bewohner die Stadt, weil sie der vielen Überfälle überdrüssig waren. Sie gründeten eine neue Stadt am Rand der Ebene, auf steilem und felsigem Gelände, um gut vor Überfällen geschützt zu sein. Außerdem beschloss die Stadtverwaltung, dass Häuser auf Stelzen gebaut werden müssen, um noch schwieriger zugänglich zu sein, und in Abwesenheit immer verriegelt und verschlossen sein müssen. Viele Bewohner der Stelzenhäuser im steilen und felsigen Gelände ließen außerdem Panzerglas oder Gitter vor den Fenstern anbringen, um Überfälle nahezu unmöglich zu machen. Dieses Verschließen wirkte sich auf die Bewohner der neuen Stadt aus, die als sehr verschlossen gelten, sehr im Gegensatz zur Offenheit der Bewohner von Überfall. In der neuen Stadt mit ihren Stelzenhäusern auf steilem, felsigem Gelände gibt es also kaum Überfälle, aber viele Fälle. Entweder fallen die Bewohner im steilen und felsigen Gelände in die Tiefe, oder sie vergessen, dass sie in Stelzenhäusern wohnen und fallen beim aufwendigen Verschließen und Verlassen ihrer Häuser. Die neue Stadt wird Fall genannt.
In Fall gibt es viel über Fälle zu berichten, was auch dort ein gewisser Faller übernimmt, ein Verwandter des Fallers aus Überfall, der im Gegensatz zu seinem Kollegen aus Überfall aber vielbeschäftigt ist. Komplementär dazu ist ein gewisser Überfaller, der in Fall über Überfälle berichtet, chronisch unterbeschäftigt.
Über Überfaller, der in Fall über Überfälle berichtet, gibt es jedoch zu berichten, dass er vor kurzem aus Fall ausgewiesen und nach Überfall abgeschoben wurde. Der Bürgerrat von Fall hatte dies verlangt und durchgesetzt, nachdem behauptet worden war, Überfaller verursache durch seine Berichterstattung erst die Überfälle in Fall, ohne seine Berichterstattung wäre Fall komplett überfallfrei.
In Überfall nahm man die Abschiebung Überfallers aus Fall nur am Rande zur Kenntnis, kämpft man dort doch mit neuen bisher unbekannten Problemen: Man hat einige höhere Häuser zwischen die Bungalows gebaut, wodurch sich nun viel mehr Fälle in Überfall ereignen als bisher. Die Fälle ereignen sich hauptsächlich bei Überfällen, da die Überfaller es nicht gewohnt sind, dass sie in Überfall bei Überfällen fallen können. Faller, der in Überfall über Fälle berichtet, ist nun vielbeschäftigt, und Überfaller, nämlich der, der aus Fall abeschoben wurde, hat in Überfall ein neues Betätigungsfeld: Er berichtet über die Überfälle bei den Fällen.
Krankheit als Weg (aus einer kranken Gesellschaft)?
Ein Tankwart namens Dankwart
Es überraschte mich, als mich an der Tankstelle ein Mensch fragte, ob er mein Auto betanken könne. Denn heutzutage trifft man selbst an Kassen immer seltener Menschen, die einen fragen, ob sie Geld kassieren können. Man kommuniziert und handelt mehr und mehr mit elektronischen Maschinen.
Es war also eine Begegnung mit Seltenheitswert, als mich der Mensch an der Tankstelle fragte, ob er mein Auto betanken könne. Ich bejahte, und während er den Stutzen in die Tanköffnung beförderte und der Diesel zu fließen begann, sagte ich zu ihm:
Sie sind also Tankwart?
Ja ich bin Tankwart wie Theodor und heiße Dankwart wie Dora.
Ich hatte es mit einem auskunftsfreudigen Tankwart zu tun, der mir, ohne gefragt zu werden, seinen Vornamen nannte. Seinen Vornamen, der natürlich originell war, denn als Tankwart Dankwart zu heißen – das ist etwas, was mich aufmerksam machte.
Dankwart, der Tankwart, bemerkte meine Aufmerksamkeit und referierte weiter:
Ich heiße Dankwart Dobler, obwohl mein Vater wollte, dass ich Dankwart Danninger heiße.
Wieso wollte ihr Vater, dass sie Dankwart Danninger heißen?
Er hätte mich dann nach meinen Initialen DaDa genannt. Mein Vater ist großer Anhänger des Dadaismus.
Und wieso heißen Sie dann nicht Dankwart Danninger?
Weil meine Mutter es nicht wollte. Meine Mutter, Dorothea Dobler, geborene Danninger, ist Traditionalist und kann mit dem Dadaismus meines Vaters nichts anfangen. Sie wollte, dass mein Vater, Dagobert Dobler, und sie heiraten, und sie – ganz klassisch – den Namen meines Vaters annimmt. Mein Vater stimmte einer Heirat – ganz undadaistisch – zu, wollte aber den Namen meiner Mutter annehmen, um Dagobert Danninger zu heißen und sich DaDa nennen zu können. Das war für meine Mutter aber außerhalb ihres Möglichkeitsraums. So gab mein Vater nach und meine Eltern heißen Dagobert und Dorothea Dobler.
Ich war verwirrt von DaDa, DaDo und DoDa. Als ich wieder klarer wurde, dachte ich mir, dass sich Dorothea Dobler DoDo nennen könnte. Aber wenn Dago Dobler seine Doro Dodo nennen würde, wäre das sicher eine große Belastung für ihre Ehe. Und außerdem: Wer will sich schon nach einem ausgestorbenen Vogel benennen oder benannt werden, dem seine Dummheit sein Leben kostete. Da wäre es schon besser, wenn Dagobert Dobler Dagobert Danninger hieße und sich DaDa nennen könnte.
Der Tank war längst gefüllt, als Dankwart Dobler, vaterlicherseits gewollter Danninger, der Tankwart, mich fragte:
Und wer sind Sie?
Ich? Ich heiße Emil. Emil Hinterstoisser.
Emil Hinterstoisser? Der berühmte Schriftsteller?
Ich? Berühmt?
Natürlich! Könnten Sie mir ein paar Zeilen aufschreiben?
Dankwart Dobler gab mir einen kleinen Zettel, auf den ich ganz schlicht schrieb:
ein Tankwart namens Dankwart hat mein Auto betankt und ich habe mich bei Dankwart dem Tankwart dafür bedankt
Ich war schon in den Wagen gestiegen, als mir Dankwart nachrief:
Mein Schwester hat einen Doppelnamen – sie heißt Dolores-Daisy Dobler. Vielleicht können Sie das nächste Mal ein paar Zeilen für sie schreiben!