Im Dämmerlicht ist die Welt wirklicher, weil sie so unwirklich ist

Über der Schotterebene leuchtete noch die Sonne, ganz flach lag sie im Westen auf der Erde, in diesem satten Licht konnte ich mir nicht vorstellen, dass es bald dunkel werden würde, ich rollte weiter, mit großer Geschwindigkeit, auf einer Asphaltpiste, die Autobahn Acht genannt wird und von der Schotterebene ins hügelige Alpenvorland führt, durch die große Geschwindigkeit hatte ich das hügelige Alpenvorland bald erreicht, ich hatte das satte Licht hinter mir gelassen, jetzt dämmerte es, und Tanja, die zu meiner Überraschung neben mir saß, während wir mit großer Geschwindigkeit die Asphaltpiste entlangrollten, sagte: Im Dämmerlicht ist die Welt wirklicher, weil sie so unwirklich ist.
Ich versuchte daraufhin, die Wirklichkeit so gut ich konnte zu erfassen, ich entgegnete Tanjas Aussage mit meiner Feststellung: Die Mangfall haben wir bereits überquert, nun schmiegt sich die Asphaltpiste in das Tal der Leitzach, um uns danach auf den Irschenberg zu führen.
Mag sein, sagte Tanja, aber was hat das mit der Wirklichkeit zu tun?

Vom Irschenberg aus sahen wir ins Inntal nach Osten, die dämmerige Welt lag wie ein Traum vor uns, während im Rückspiegel das Licht der untergehenden Sonne leuchtete. Ich betrachte den erleuchteten Punkt vor uns, der Rosenheim genannt wird, sagte Tanja nun, und es kommt mir so vor, dass ich nicht mehr weiß, wer ich bin und wo ich mich befinde. Vielleicht befinde ich mich in der unmittelbaren Unwirklichkeit.
Die Asphaltpiste leitete uns weiter durch die Unwirklichkeit, und ich dachte an Tanjas Worte, als wir aus der Schotterebene in die Unwirklichkeit eingetaucht waren: Im Dämmerlicht ist die Welt wirklicher, weil sie so unwirklich ist.
Am Chiemsee verließen wir die Asphaltpiste, es erschien unwirklich, hatte die Piste uns doch wie in einem Traum durch das dämmerige Land geleitet, am Chiemsee war es dunkel, das Sonnenlicht im Westen nur noch zu erahnen, die Sterne über uns hell aber nicht erleuchtend, ich verlor vollkommen die Orientierung, was Tanja wortlos zur Kenntnis nahm, ich hatte nicht das Gefühl, als wolle sie etwas gegen diese Orientierungslosigkeit unternehmen, mitten in dieser Orientierungslosigkeit erreichten wir Sonjas Haus, dort hielten wir, und Tanja sagte: Ich steige aus und gehe zu Sonja ins Haus.

Für einen Moment dachte ich, dass auch ich steige aus und gehe zu Sonja ins Haus, doch in diesem einen Moment fiel etwas Licht auf Johannas Gesicht, Johanna saß mit den Kindern hinten, woher das Licht kam, das auf Johannas Gesicht fiel, weiß ich nicht, mittlerweile bilde ich mir ein, dass es von mir kam, ich weiß auch nicht, wieso Johanna mit den Kindern hinten saß, Tanja war inzwischen ausgestiegen und ging zum Haus, und ich wusste jetzt, dass ich mit Johanna und den Kindern an den See fahren würde, wir waren schon am See, trotzdem würde ich mit Johanna und den Kindern weiterfahren, an den See, vielleicht an einen anderen See, vielleicht an den gleichen See an anderer Stelle, Johannas Mutter wohnt am See, so wie Sonja, wir würden zu Johannas Mutter fahren, wo ist eigentlich Johannas Vater? Wo sind überhaupt die Väter in dieser unmittelbaren Unwirklichkeit?

An mehr kann ich mich nicht erinnern, sicher ist, dass ich weiß wo ich mich befinde, die Sonne scheint hell am See, ich weiß, dass ich lebe, aber in alledem fehlt etwas, als wäre es nicht wirklich, eher unwirklich, wie ein Traum, und immer wieder kommen Tanjas Worte über mich, dass im Dämmerlicht die Welt wirklicher ist, weil sie so unwirklich ist.

Kassenkrieg

Die Situation in der ich mich befand war eine zufriedenstellende, Samstag Vormittag beim Einkaufen, draußen schien die herbstliche Sonne, ein freies Wochenende vor mir, freudig stand ich unter meinen Mitmenschen in der Kassenschlange, die Situation war derart zufriedenstellend, dass ich nie auf die Idee gekommen wäre, sie festzuhalten in Worten, im Gegenteil, es war ein angenehmer Fluss in mir, trotz des Wartens in der Kassenschlange, den ich nicht durch Festhalten unterbrechen wollte. Eine zweite Kasse wurde geöffnet, um die Schlange mehr ins Fließen zu bringen, ein zweiter Abfluss wurde geschaffen, und ich beschloss, den zweiten Abfluss zu benutzen, gerade als ich diesen Beschluss gefasst hatte, drängte sich ein hinter mir Wartender an mir vorbei, so war jedenfalls mein Eindruck seines Vorgehens, sein Vorgehen war ein Vordrängen. Nun empfand ich die Situation nicht mehr zufriedenstellend, eine leichte Unzufriedenheit stellte sich ein, weshalb ich nun beschloss, diese leichte Unzufriedenheit in leichte Worte zu fassen, und ich sagte zum Vordrängler: Sie haben es wohl sehr eilig?, woraufhin der Vordrängler sagte: Ich habe ja nicht viel!, eine Antwort, die mich erstaunte, erschien sie mir doch nicht logisch, denn nur weil man wenig Sachen zu bezahlen hat, erwirbt man doch nicht das Recht zum Vordrängeln, es war eine pure Dreistigkeit, sich vorzudrängen mit der Begründung, nicht viel zu haben. Erstaunte mich diese Antwort nur oder verärgerte sie mich? So genau kann ich das im Nachhinein nicht mehr sagen, ich denke es mischte sich bereits Ärger ins Erstaunen, doch dazu später, denn ich getraue mich zu behaupten, dass zu diesem Zeitpunkt das Erstaunen den Ärger überwog, antworte ich doch auf sein Ich hab ja nicht viel mit: Ich hab auch nicht viel, woraufhin er meinte: Ich war aber schneller!, und jetzt, das spüre ich ganz deutlich während ich erzähle, jetzt kam zum Erstaunen der Ärger, sein permanentes Rechtfertigen, das ich im Nachhinein als konsequente Kommunikationsverweigerung interpretiere, begann mich zu ärgern: sich vorzudrängen und anschließend zu versuchen, sich dafür zu rechtfertigen, mit despektierlichen Äußerungen – was soll das? Hätte er gesagt: Entschuldigung, ich habe es eilig, mein ursprünglicher Zustand der Zufriedenheit hätte sich nicht verändert, das traue ich mich zu behaupten, aber seine Aussagen Ich hab nicht viel und Ich war schneller erlebte ich als eine Respektlosigkeit, die mein Erstaunen in Ärger verwandelte, Krieg war nun unvermeidlich, das Schlachtfeld war eröffnet, ich sagte zu ihm, und ich höre mich mit zynischem Unterton sprechen: Das hier ist also ein Wettbewerb? Ein Gegeneinander? Wer schneller ist? Wer sich listiger am anderen vorbeidrängelt?Ich bin zwar älter als Sie aber schneller, das gibt’s, entgegnete er meinen Angriff, die Schlacht war in vollem Gange.

Ich blickte ihn reglos und durchdringend an, ich spürte meinen Ärger – und wahrscheinlich sah er ihn in meinen Augen – ich blieb aber äußerlich ruhig, wie ein Raubtier, das seine Beute zappeln lässt. In diese Spannung hinein sagte er: Haben Sie sonst keine Probleme?Nein, sonst habe ich keine Probleme. Sonst erlebe ich allgemeine Zufriedenheit. Nur mit Ihrem Vordrängeln, das Sie schlau und toll finden, habe ich ein Problem, weil ich es respektlos und dumm finde. Er winkte ab und vergaß dabei zu bezahlen, obwohl der Kassier ihm bereits den Preis genannt hatte.

Ich fühlte mich als Sieger dieses Wettbewerbs, und zur Kür sagte ich: Schnell! Schnell! Bezahlen Sie! Und packen Sie schnell Ihre Sachen! Zeigen Sie mir, wie schnell Sie sind! Er räumte das Feld, die Schlacht war vorüber.