Latschenkiefernöl

„Ich mag den Duft von Latschenkiefernöl“, habe ich zu dir gesagt. Du hast gelächelt. Dieser Moment, er war schön, als ich zu dir gesagt habe, dass ich ihn mag, den Duft von Latschenkiefernöl.

Jetzt flehe ich dich an und sage: „Ich mag mich nicht. Rette mich vor meinem Ich! Du! Du! Du! Rette mich vor meinem Ich!“ Du stehst auf und gehst. Du gehst langsam und gelassen, aber du gehst. „Du kannst doch jetzt nicht gehen“, rufe ich dir nach, „jetzt, wo ich so verzweifelt bin!“ Aber das beeindruckt dich nicht.

Ich brauche Rat, denn ich weiß nicht, was ich nun tun soll mit meinem Ich. Ich raffe mich auf und suche Rat. Der erste Rat sagt: „Steh um sechs Uhr auf und mache sechs Ich-Übungen, so entdeckst du dein Ich.“ „Nein“, ruft da gleich der zweite Rat: „Sage alle zehn Minuten zehnmal Ich, so findest du dich!“ „Nein“, ruft der dritte Rat dazwischen: „Gehe abends in den dunklen Park und rede mit den Bäumen, die führen dich zu deinem Ich.“ Plötzlich bin ich umzingelt von Räten, und sie schlagen auf mich ein; denn das ist ja ihre Aufgabe: Rat-Schläge zu geben. „Wir meinen es nur gut mit dir!“ rufen sie, und schlagen und schlagen und sind in einem regelrechten Rausch. Und ich werde immer weniger ich.

Ich halte es nicht mehr aus. Ich flüchte. Ich laufe so schnell ich kann. Ab und zu möchte ich stehenbleiben und einen Rat erfragen, doch kaum werde ich langsamer, kommen wieder die Schläge über mich und ich laufe erschrocken weiter. Sie hören nicht auf, die Räte, den Weg zu säumen und mir Rat-Schläge zu geben. Um den Schlägen endgültig zu entfliehen, fasse ich meinen ganzen Mut zusammen und springe. Ich springe mitten ins Ungewisse meines Ichs…

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Das Wasser ist warm, in dem ich treibe. Ich recke und strecke meinen Körper und sage nur: „Ich Ich Ich.“ Das Wasser duftet nach Latschenkiefernöl. Da sehe ich dich. Du beschenkst mich mit dem Duft von Latschenkiefernöl, weil du weißt, dass ich ihn mag, den Duft von Latschenkiefernöl. Ist das schön, mit dir zu treiben im warmen Wasser! Durch dich habe ich mir mein Ich neu geschenkt. Ich berühre dich und sage: „Du Du Du“ und „Ich Ich Ich“, weil ich jetzt weiß, wie das geht: sich zu lieben.

Wundervoller Morgen

Ein Wintermorgen, kalt und stechend die Luft. Die Sonne sendet erstes schwaches Licht hinter den verschneiten Ästen der Bäume. Ich biege ein in die lange Straße mit den Häusern, dicht an dicht gestaffelt. Die Straße liegt gebettet wie in einen Rhythmus an diesem Morgen; in keinen lauten, krachenden Rhythmus, sondern in einen ruhigen, tragenden. Ich denke an das Adagio in G-Moll nach Albinoni.

Ich tauche ein in diesen Rhythmus. Die Häuser ziehen links und rechts an mir vorbei. Wieviele Stunden hat es gebraucht, all diese Häuser zu bauen? Wieviel Geschick und Handfertigkeit? Ist es nicht ein Wunder, was der Mensch alles erschafft? Er schafft moderne Höhlen, die er Häuser nennt, die wie steile Schluchten die Straßen säumen.

Da ist die Treppe zur U-Bahn vor mir. Ich werde die Treppen hinuntersteigen in den ausgegrabenen Untergrund, in einen Zug einsteigen, der mich durch lange Tunnel an einen Ort bringt, wo ich dann wie von Zauberhand hingebracht wieder an die Oberfläche gelange.

Ich sehe sie die Treppen hinuntersteigen. Sie trägt Kopfhörer und hat ihr Smartphone in der Hand. Ich folge ihr. Sie biegt um die Ecke und fährt die Rolltreppe hinunter zum Bahnsteig.

Wir warten auf den Zug. Ab und zu blicke ich zu ihr hinüber. Ich will ihr erzählen von den Wundern, die ich heute schon erlebt habe: vom orangenen Licht hinter den weißen Zweigen; von den Schluchten, die ich durchschritten habe; von ihr, wie ich sie auf der Treppe gesehen habe und wie wunderbar ich es finde dass sie und ich geboren und auf diese Welt gekommen sind.

Sie blickt kurz zu mir herüber. Doch ehe mir ihr Gesicht etwas sagen könnte, wendet sie sich wieder ab. Will sie mir damit sagen: Hör bloß auf mit deinen Wundern, ich will nichts von ihnen hören?

Vielleicht ist es besser, Wunder einfach geschehen zu lassen, anstatt sie mit schnöden Worten zu beschreiben. Als der Zug kommt, steige ich einen Waggon hinter ihr ein. Und da ist wieder der Rhythmus, ich höre ihn ganz deutlich: das Adagio in G-Moll. Oh Remo Giazotto, hat dir wirklich Tomaso Albinoni diese wunderbare Musik eingeflüstert? Oder ist sie einfach nur wie ein Wunder über mich gekommen an diesem wundervollen Morgen?