Archiv der Kategorie: Wirres

Das Leben zu entwirren kann sehr verwirrend sein.

Auf der Suche nach Gründen für die Niederlage

Es war einst ein MenschIn, das ging sehr gern umher. Es liebte diese Umhergänge. Jedoch wurde es bei diesen Umhergängen oft sehr plötzlich sehr müde. So müde, dass es sich umgehend niederlegen musste. Es legte sich dann nieder, wo es gerade war: am Weg, am Waldrand, auf der Wiese, meist jedoch auf dem Weg, da es überwiegend in besiedeltem Gebiet umherstreifte, das mit Wegen durchsetzt war, und wenn es sehr plötzlich sehr müde wurde, schaffte es es nicht mehr, sich aus dem Weg zu räumen, sondern es musste sich auf dem Weg niederlegen, um nicht unkontrolliert hinzufallen.

Wenn es dann so darniederlag auf dem Weg, kam fast immer ein anderes MenschIn des Weges und sagte zum MenschIn: Du kannst dich doch nicht mitten auf dem Weg hinlegen!
Manchmal schlief das MenschIn wegen seiner überwältigenden Müde so fest, dass es von einer Ansprache nicht aufwachte. Nette andere MenschInnen gingen dann weiter, wenn auch etwas verwundert, andere MenschInnen aber störten sich so sehr am liegenden schlafenden MenschIn mitten auf dem Weg, dass sie es rüttelten und schüttelten bis es aufwachte. Das MenschIn hatte dann meist schon wieder etwas Kraft, stand auf und torkelte weiter, bis es erneut von seiner Müde überwältigt wurde und sich wieder niederlegte.

Einmal jedoch kam ein MenschIn des Weges, das ließ nicht locker. Nachdem es gerüttelt und geschüttelt hatte, das MenschIn etwas weitergetorkelt war und sich wieder niedergelegt hatte, rüttelte und schüttelte es wieder, aber das übermüde MenschIn ließ sich davon nicht in seinem Schlaf stören, sodass es mit den Füßen auf es eintrat.

Das darniederliegende MenschIn erwachte plötzlich und schnell, da es sich in Todesgefahr wähnte. Panisch robbte es in völliger Übermüde ins nächste Gebüsch. Dort hörten die Tritte auf. Das Gebüsch war jedoch ein Dornengebüsch. Blutüberströmt robbte das MenschIn aus dem Dornengebüsch und schleppte sich unter großen Müdesqualen nach Hause.

Zuhause fiel es auf sein Ruhelager. Als es nach langem Schlaf wieder erwachte, ersann es folgenden Plan:
Ich muss Gründe finden für meine Niederlagen. Ich will mich bei meinen Umhergängen niederlegen können, um dann ungestört zu ruhen.
Also machte es sich auf den Weg und suchte nach Gründen für seine Niederlagen. Nach Gründen, nicht nach Plätzen, denn ein Platz ist zu bevölkert für Niederlagen, da kommen sofort andere MenschInnen und reden und rütteln und schütteln, oder sie treten sogar, bis sich das MenschIn wieder robbend und torkelnd einen anderen Platz für die Niederlage suchen muss. Nein, es muss ein Grund sein, geräumig, nicht direkt einsehbar, um die Ruhe zu finden, die es zum Ruhen braucht.

Doch da das MenschIn in besiedeltem Gebiet umherstreifte, fand es kaum geräumige, nicht direkt einsehbare Gründe für die Niederlagen, und wenn es einmal einen passenden Grund fand, war es meist hellwach und wollte sich gar nicht niederlegen. Außerdem war es zunehmend genervt, dass es nur mehr umherstreifte, um Gründe für die Niederlage zu finden, und nicht mehr aus Neugier, Lust und Laune.

Es gab die Suche nach Gründen für die Niederlage bald wieder auf. Es legte sich wieder dorthin auf den Weg, wo es gerade müde wurde, in der Hoffnung, dass während seiner Niederlage nur MenschInnen vorbeikommen, die schweigend vorbeiziehen oder seinetwegen ein bißchen mit ihm reden und es nicht rütteln und schütteln oder sogar treten.

Zylinderkopf-Dichtung

wehmütige Verse an den Verbrennermotor

Zylinderkopf
du armer Tropf
der Druck ist groß
der Kolben klopft
Ventile rein, Ventile raus
zu hoffen ist
dass nichts verstopft
und auch dass nichts
den Raum verlässt
weil sonst die Kraft
ins Leere bläst

Zylinderkopf
verlier dich nicht
mit dem Zylinder
halte dicht

Das Ruhebereich

Einst herrschte König Rudolph in seinem Reich. König Rudolph wollte seine Ruhe haben. Um dies zu betonen, ließ er sich nicht mit vollem Namen ansprechen, sondern wollte auf allen offiziellen Dokumenten König Ru genannt werden. Warum er hierbei das h wegließ, kann nicht mehr abschließend geklärt werden. Einige meinen, er fürchtete, dass man bei König Ruh meinen könnte, das Papier, auf dem es geschrieben steht, habe eine große Falte geworfen und das dolp zwischen Ru und h sei lediglich verdeckt, sodass erst recht davon ausgegangen worden wäre, dass er König Rudolph sei und nicht KÖnig Ruh. Andere Geschichtswissenschaftler meinen, dass h sei auf der offziellen Urkunde einfach vergessen worden.

Wie auch immer – er war König Ru und wollte seine Ruhe. Außer es gab etwas zu feiern: Dann ließ er anordnen, dass alle einen heben sollen. Woraufhin das Volk sich ständig Gründe ausdachte, etwas zu feiern, um dabei einen zu heben. Ständig wurde  gehoben in Rus Reich. Es wurde deshalb auch Hebereich genannt, und später, um es besser von anderen Reichen, in denen auch fleißig gehoben wurde und die deshalb auch Hebereiche genannt wurden, unterscheiden zu können, ging es als Ruhebereich in die Geschichte ein.

Eine taube Taube, oder: Ein Taubenmännchen ist kein Tauber, sondern ein Täuberich

eine Geschlechterdiskussion

Mit dem Läuten kam ich ins Klassenzimmer, gerade noch vor dem LehrerIn, und stürmte zu meinem Platz. Ich war noch beim Auspacken der Schreibsachen, als das LehrerIn überraschend eine Schularbeit ansagte: Wir sollen aufschreiben, was wir heute Morgen auf dem Schulweg erlebt haben.

Diese Schularbeit kam mir sehr gelegen, hatte ich doch heute Morgen auf dem Schulweg etwas erlebt, das mich sehr beschäftigte. Doch als ich nun auf meiner Schulbank saß und sich mein Herzschlag allmählich beruhigte, wusste ich nicht, was ich auf das weiße Blatt Papier schreiben sollte, um mein Erlebnis zu beschreiben. Zögernd nahm ich den Stift in die Hand und schrieb:

Eine taube Taube

Ja, die Taube war reglos auf der Straße gesessen. Ich hatte mit der Fahrradklingel geklingelt und mit meiner Stimme gerufen, Flieg weg Taube! hatte ich gerufen, aber sie hörte nicht und blieb reglos sitzen. Es war eine taube Taube. Ich hatte gerade noch rechtzeitig gebremst, um sie nicht zu überfahren.

Ich hatte die taube Taube vor Augen, als ich mit dem Stift in der Hand auf der Schulbank saß. Ich sah, wie mich die taube Taube angesehen hatte, und plötzlich wurde mir klar, dass die taube Taube kein Weibchen, sondern ein Männchen gewesen sein muss. Ich strich Eine taube Taube durch und schrieb daneben: Ein tauber Tauber. In diesem Moment kam das LehrerIn an mir vorbei und schaute mir über die Schulter. Das LehrerIn sagte:
Nein, Emil, das macht keinen Sinn. Ein tauber Tauber – das ist eine Tautologie!
Ich hatte das Wort Tautologie noch nie gehört gehabt und verstand statt Tautologie Taubologie. Ich dachte: Natürlich macht das Sinn – es geht um Tauben, also ist es Taubologie, und schüttelte innerlich den Kopf über den Unsinn, den das LehrerIn da sagte. Ich wurde jedoch unsicher, ob es wirklich ein Taubenmännchen gewesen war, das da taub auf der Straße gesessen war. Ich war mir plötzlich sicher, dass es doch ein Taubenweibchen gewesen sein muss. Also strich ich Ein tauber Tauber wieder durch und schrieb daneben: Eine taube Taube.
Das LehrerIn stand noch immer neben mir und sagte:
Das ist derselbe Unsinn! Es ist doch klar, dass eine Taube genauso taub ist wie ein Tauber!
Ich glaube aber, es war eine Taube und kein Tauber, entgegnete ich.
Das ist nicht wichtig! meinte das LehrerIn jetzt ungehalten, ob es ein Tauber oder eine Taube war. Beide sind taub.
Nein. Es war nur eine Taube taub. Ich habe nur eine gesehen, und die war wie gesagt eine Taube und kein Tauber.
Dann schreib bitte: Eine Taube.
Aber es war doch eine taube Taube…

Das LehrerIn schaute mich streng an und ging wortlos weiter, sodass ich mich wieder auf die Nacherzählung meines morgendlichen Erlebnisses auf dem Schulweg konzentrieren konnte. Ich blieb jedoch wieder bei der Frage stecken, ob es sich um ein Taubenmännchen oder um ein Taubenweibchen gehandelt hat, das ich taub auf der Straße sitzen gesehen hatte, und nun erschien es mir wieder richtiger, dass es ein Männchen gewesen war. Ich strich also Eine taube Taube durch und schrieb – nein, ich schrieb nicht, ich stockte, denn plötzlich fiel mir Entscheidendes ein:

Ohne zu zögern, der Dringlichkeit entsprechend, rief ich laut: Divers LehrerIn, ich weiß jetzt, wo der Fehler liegt – ein Taubenmännchen ist kein Tauber, sondern ein Täuberich!

Frank an den Furten

Er war Frank
ging mit Ochsen und Schwein
durch das Land
und war voller Hass.
Den Fluss überquerte er
an einer seichten Stelle,
an einer Furt.
Dort ließ er die Ochsen.
An der nächsten Furt
ließ er das Schwein.
Nun war er allein
mit dem Hass
doch auch den
ließ er zurück
an der nächsten Furt.
Auch Frank
wollte er nicht mehr heißen
und ließ diesen Namen
an der nächsten Furt.
Als er zur nächsten Furt kam
war er nur mehr er.
Er brauchte nicht mehr.

Heute erinnern die Städte Ochsenfurt, Schweinfurt, Haßfurt, Frankfurt und Erfurt an ihn.

Gedanken los

Die

B u c h s t a b e n

stehen vor mir wie Zeichen, die keinen Sinn ergeben. Abstrakt, also sich nur im Gedanklichen, Theoretischen bewegend und keinen unmittelbar feststellbaren Bezug zur Wirklichkeit habend, ist der letzte Sinn, den ich in ihnen erkennen kann. Mein Leben, so wie ich es bisher kenne, entschwindet mit dem entschwindenden Sinn der Buchstaben.

Du sitzt neben mir, das kommt mir fast wie ein Wunder vor, nach allem, was geschehen ist. Es ist ein Wunder, dass wir beide auf dieser Bank sitzen. Auf einer Bank, nicht auf zwei Stühlen, nein, auf einer Bank. Dein Körper und meiner auf einer Bank sitzend, dieser Zustand beruhigt mich, nein: Er beruhigt mich nicht, denn Beruhigen ist ein zu abstraktes Wort, viel zu abstrakt, wenn ich an unser konkretes Sitzen auf einer Bank denke. Ich will überhaupt nicht denken – weder abstrakt noch konkret -, wenn es um dich geht und um mich, deshalb will ich auch nicht schreiben, denn Schreiben ist Denken.

Jetzt rieche ich dich, ich rieche dich wie du neben mir auf einer Bank sitzt, dein Geruch dringt in meine Nase und lässt mich hinüberkippen, zunächst glaube ich, zu dir hinüberzukippen, ich glaube, die Bank sei plötzlich schief und lässt mich zu dir hinüberkippen, doch das ist eine falsche Wahrnehmung und folgich eine unzureichende Darstellung des Ereignisses, die Bank ist nach wie vor gerade, zumindest nach menschlichen Maßstäben, bin etwa nicht ich hinüber-, sondern du herübergekippt, viel zu viele Gedanken, die sich im Moment ihres Denkens als überflüssig erweisen, finden wir uns doch plötzlich in einem weichen Bett wieder, es ist anzunehmen, dass wir in es hineingekippt sind, ich spüre deine weiche Haut auf meiner, unsere Bewegungen machen es mir unmöglich, weiter zu schreiben, m e i n     K    o    p    f         l   ä       s       s      t     d        i         e                           G                      e          d                a         n   k     e

n

 

l

o

s

Ratg-Eber

Die Zahl 4, vermutet Vorderbrandner, begleitet mich seit meiner Geburt. Obwohl seit jeher mehr zu den Buchstaben als zu den Zahlen hingezogen, liebe ich es, vier Buchstaben in einer Reihe zu sehen, oder acht, die ich dann durch zwei teilen kann. In meiner frühen Schulzeit, als ich lesen und schreiben lernte, waren die Wörter dreizehn, vierzehn, fünfzehn, sechzehn, siebzehn, achtzehn und neunzehn aufgrund ihrer klaren 4+4-Struktur meine Lieblinge. Später wagte ich mich an komplexere Fälle wie das Wort Ratgeber heran, das ich nicht in die Worte Rat und Geber teilte, was drei plus fünf Buchstaben ergeben hätte. Ich blieb bei meiner strengen 4+4-Arithmetik und teilte das Wort in die Teile Ratg und Eber. Dabei stellte ich mir vor, dass Ratg eine Stadt sei, irgendwo im slawischen Sprachraum. Bald modifizierte ich diese Vorstellung dahin, dass Ratg eine bäuerliche Rotte sei, in der spezielle Eber, die Ratg-Eber, gezüchtet werden.

Später, im fortgeschrittenen Schulalter, vertraute ich nicht mehr meiner Vorstellungskraft, sondern recherchierte, was Ratg zu bedeuten habe, und fand heraus, dass Ratg in Österreich für Rechtsanwaltstarifgesetz steht. Nun war wieder meine Vorstellungskraft gefragt, nämlich darüber, was ein Rechtsanwaltstarifgesetz-Eber sein könnte. Ich studierte das österreichische Rechtsanwaltstarifgesetz, doch es stellte sich als eine zu abstrakte Basis dar, um Phantasie darüber zu entwickeln, was ein Rechtsanwaltstarifgesetz-Eber sein könnte. Wieso muss es unbedingt ein Eber sein? Wieso kann es keine Sau oder ein Ferkel sein, eine Ratg-Sau oder ein Ratg-Ferkel? Oder könnte man nicht allgemein vom Rechtsanwaltstarifgesetz-Schwein sprechen?

Ich verzweifelte über meinen Überlegungen, so Vorderbrandner weiter, und bekam den Eindruck, dass die Worte Ratg und Eber gemeinsam überhaupt keinen Sinn ergeben, zumindest nicht in meinem Kopf. Ich fragte meinen Deutschlehrer, ob er denn einen Sinn in der Kombination der Worte Ratg und Eber sehe, woraufhin mein Deutschlehrer sagte: Nein, aber wenn ich dir einen Rat geben darf…

Ich unterbrach ihn, denn ich hatte genug gehört. In meinen Ohren klangen die Worte Ratg und eben, woraufhin sich die Phantasie in meinen Kopf wieder aktivierte: Es muss sich bei Ratg um eine bäuerliche Rotte handeln, die in der Ebene liegt, auf ebenem Grund, um Platz für die Eber zu haben, die dort gezüchtet werden. Ich dachte sofort an Niedersachsen und seine riesigen Schweinefarmen, ruderte jedoch umgehend zurück, denn Ratg als Name einer niedersächsischen Bauernrotte konnte ich mir nicht vorstellen. War Ratg gar, trotz der vielen Berge und der wenig ebenen Flächen, eine Ansiedlung im Österreichischen, aufgrund des österreichischen Rechtsanwaltstarifgesetzes? Dazu würde die historische und geographische Nähe des Österreichischen zum Slawischen passen. Doch warum stellte ich mir Ratg als eine slawische Rotte vor? Dachte ich an die Stadt Ratibor, im schlesischen Tiefland gelegen (Ist es dort eben?), die jedoch nicht slawisch, sondern schlesisch ist?

In meiner völligen Verwirrtheit, so Vorderbrandner am Ende seiner Ausführungen, erschien mir mein Deutschlehrer. Und ich ließ ihn zu Ende sprechen: Wenn ich dir einen Rat geben darf: Weiche in diesem Fall – wenn es dir möglich ist – von deiner strengen 4+4 zu einer 3+5-Arithmetik ab!

Eine Jugend in Zitaten

Gerade heute fällt mir ein, dass es schon lange her ist, als mich ein Gefühl übermannte, das ich nicht kannte. Ich rang es nieder mit meinem Geist, mit meinem Kleingeist, wie sollte er ein Großgeist sein, gerade dem Kindsein entwachsen. Mein Kopf wurde immer größer, doch die Worte wurden für mich so schwer, dass ich sie nicht mehr singen konnte wie bisher. Was sollte ich machen an dieser Stelle, an der du mir gegenüber standst? Auf dich zugehen? Davor hatte ich zuviel Angst, denn dann würde das Gefühl, das ich nicht kannte, mich noch mehr übermannen: Ich war die Angst, die Angst vor mir, nur in deiner Furcht war ich bei dir.

Trotzdem ging ich auf dich zu, um von dir abzufallen, um mich als Abfall zu erleben. Meine Ich-Maschine sprang an und drehte sich im Kreis, im Kreis um mich. Wie sollte ich dir nah sein, wenn ich mich selbst nicht von mir entfernen konnte? You make me, sagte ich, um mich von mir abzulenken. Da brachte Blumfeld nach der Ich-Maschine, aus der sich mein Geist speiste, sein zweites Album heraus. Ich flüchtete mich ins Alleinesein, ohne zu wissen, dass einem im Alleinesein die Gefühle übermannen, weil man mit allem eins ist:

Blumfeld