Archiv der Kategorie: Wirres

Das Leben zu entwirren kann sehr verwirrend sein.

Über Fall und Überfall

In der Stadt, über die zu berichten ist, gibt es Fälle und Überfälle. Über die Fälle berichtet, und das ist kein Zufall, ein gewisser Faller, über die Überfälle ein gewisser Überfaller. Viele glauben zunächst, Faller sei eine Art Allgemeinberichterstatter und Überfaller eine Art Spezialberichterstatter. Es ist jedoch genau umgekehrt: In der Stadt gibt es nämlich kaum Fälle, aber viele Überfälle. Die Stadt ist auf sehr flachem Gelände erbaut und die Häuser sind in Bungalow-Bauweise errichtet, wodurch es kaum Möglichkeiten für Fälle gibt. Andererseits sind die Bewohner der Stadt sehr offen und so auch ihre Häuser, wodurch es viele Gelegenheiten zu Überfällen gibt, die auch genutzt werden. Überfaller ist also ein vielbeschäftigter Berichterstatter, während Faller nur in äußerst seltenen Fällen herangezogen werden muss. Die Stadtverwaltung hat schon oft versucht, die Bewohner zu mehr Verschlossenheit zu animieren und ihre Häuser in Abwesenheit zu verschließen, um Überfälle zu minimieren, aber vergeblich. die Bewohner sind sehr stolz auf ihre Offenheit und lassen deshalb konsequenterweise in Abwesenheit ihre Häuser offen. Die Stadt wird von manchen Offen genannt, aber bekannt ist sie unter dem Namen Überfall.

Überfall ist keine sehr große Stadt, aber trotzdem erstreckt sie sich weit in die Ebene, weil es nur ebenerdige Bungalows gibt. Überfall war die erste Besiedelung in der Ebene. Vor nicht allzuferner Zeit verließen viele Bewohner die Stadt, weil sie der vielen Überfälle überdrüssig waren. Sie gründeten eine neue Stadt am Rand der Ebene, auf steilem und felsigem Gelände, um gut vor Überfällen geschützt zu sein. Außerdem beschloss die Stadtverwaltung, dass Häuser auf Stelzen gebaut werden müssen, um noch schwieriger zugänglich zu sein, und in Abwesenheit immer verriegelt und verschlossen sein müssen. Viele Bewohner der Stelzenhäuser im steilen und felsigen Gelände ließen außerdem Panzerglas oder Gitter vor den Fenstern anbringen, um Überfälle nahezu unmöglich zu machen. Dieses Verschließen wirkte sich auf die Bewohner der neuen Stadt aus, die als sehr verschlossen gelten, sehr im Gegensatz zur Offenheit der Bewohner von Überfall. In der neuen Stadt mit ihren Stelzenhäusern auf steilem, felsigem Gelände gibt es also kaum Überfälle, aber viele Fälle. Entweder fallen die Bewohner im steilen und felsigen Gelände in die Tiefe, oder sie vergessen, dass sie in Stelzenhäusern wohnen und fallen beim aufwendigen Verschließen und Verlassen ihrer Häuser. Die neue Stadt wird Fall genannt.

In Fall gibt es viel über Fälle zu berichten, was auch dort ein gewisser Faller übernimmt, ein Verwandter des Fallers aus Überfall, der im Gegensatz zu seinem Kollegen aus Überfall aber vielbeschäftigt ist. Komplementär dazu ist ein gewisser Überfaller, der in Fall über Überfälle berichtet, chronisch unterbeschäftigt.

Über Überfaller, der in Fall über Überfälle berichtet, gibt es jedoch zu berichten, dass er vor kurzem aus Fall ausgewiesen und nach Überfall abgeschoben wurde. Der Bürgerrat von Fall hatte dies verlangt und durchgesetzt, nachdem behauptet worden war, Überfaller verursache durch seine Berichterstattung erst die Überfälle in Fall, ohne seine Berichterstattung wäre Fall komplett überfallfrei.

In Überfall nahm man die Abschiebung Überfallers aus Fall nur am Rande zur Kenntnis, kämpft man dort doch mit neuen bisher unbekannten Problemen: Man hat einige höhere Häuser zwischen die Bungalows gebaut, wodurch sich nun viel mehr Fälle in Überfall ereignen als bisher. Die Fälle ereignen sich hauptsächlich bei Überfällen, da die Überfaller es nicht gewohnt sind, dass sie in Überfall bei Überfällen fallen können. Faller, der in Überfall über Fälle berichtet, ist nun vielbeschäftigt, und Überfaller, nämlich der, der aus Fall abeschoben wurde, hat in Überfall ein neues Betätigungsfeld: Er berichtet über die Überfälle bei den Fällen.

Ein Tankwart namens Dankwart

Es überraschte mich, als mich an der Tankstelle ein Mensch fragte, ob er mein Auto betanken könne. Denn heutzutage trifft man selbst an Kassen immer seltener Menschen, die einen fragen, ob sie Geld kassieren können. Man kommuniziert und handelt mehr und mehr mit elektronischen Maschinen.

Es war also eine Begegnung mit Seltenheitswert, als mich der Mensch an der Tankstelle fragte, ob er mein Auto betanken könne. Ich bejahte, und während er den Stutzen in die Tanköffnung beförderte und der Diesel zu fließen begann, sagte ich zu ihm:

Sie sind also Tankwart?

Ja ich bin Tankwart wie Theodor und heiße Dankwart wie Dora.

Ich hatte es mit einem auskunftsfreudigen Tankwart zu tun, der mir, ohne gefragt zu werden, seinen Vornamen nannte. Seinen Vornamen, der natürlich originell war, denn als Tankwart Dankwart zu heißen – das ist etwas, was mich aufmerksam machte.

Dankwart, der Tankwart, bemerkte meine Aufmerksamkeit und referierte weiter:

Ich heiße Dankwart Dobler, obwohl mein Vater wollte, dass ich Dankwart Danninger heiße.

Wieso wollte ihr Vater, dass sie Dankwart Danninger heißen?

Er hätte mich dann nach meinen Initialen DaDa genannt. Mein Vater ist großer Anhänger des Dadaismus.

Und wieso heißen Sie dann nicht Dankwart Danninger?

Weil meine Mutter es nicht wollte. Meine Mutter, Dorothea Dobler, geborene Danninger, ist Traditionalist und kann mit dem Dadaismus meines Vaters nichts anfangen. Sie wollte, dass mein Vater, Dagobert Dobler, und sie heiraten, und sie – ganz klassisch – den Namen meines Vaters annimmt. Mein Vater stimmte einer Heirat – ganz undadaistisch – zu, wollte aber den Namen meiner Mutter annehmen, um Dagobert Danninger zu heißen und sich DaDa nennen zu können. Das war für meine Mutter aber außerhalb ihres Möglichkeitsraums. So gab mein Vater nach und meine Eltern heißen Dagobert und Dorothea Dobler.

Ich war verwirrt von DaDa, DaDo und DoDa. Als ich wieder klarer wurde, dachte ich mir, dass sich Dorothea Dobler DoDo nennen könnte. Aber wenn Dago Dobler seine Doro Dodo nennen würde, wäre das sicher eine große Belastung für ihre Ehe. Und außerdem: Wer will sich schon nach einem ausgestorbenen Vogel benennen oder benannt werden, dem seine Dummheit sein Leben kostete. Da wäre es schon besser, wenn Dagobert Dobler Dagobert Danninger hieße und sich DaDa nennen könnte.

Der Tank war längst gefüllt, als Dankwart Dobler, vaterlicherseits gewollter Danninger, der Tankwart, mich fragte:

Und wer sind Sie?

Ich? Ich heiße Emil. Emil Hinterstoisser.

Emil Hinterstoisser? Der berühmte Schriftsteller?

Ich? Berühmt?

Natürlich! Könnten Sie mir ein paar Zeilen aufschreiben?

Dankwart Dobler gab mir einen kleinen Zettel, auf den ich ganz schlicht schrieb:

ein Tankwart namens Dankwart
hat mein Auto betankt
und ich habe mich
bei Dankwart dem Tankwart
dafür bedankt

Ich war schon in den Wagen gestiegen, als mir Dankwart nachrief:
Mein Schwester hat einen Doppelnamen – sie heißt Dolores-Daisy Dobler. Vielleicht können Sie das nächste Mal ein paar Zeilen für sie schreiben!

Ttiche

Schon die Gattung der Gele sorgt für Verwirrung, werden doch in ihr unterschiedlichste Arten der Fauna wie Egel, Igel und Vogel zusammengefasst. Doch bei der Gattung der Tiche ist die Verwirrung noch größer, denn hier werden Arten aus Fauna und Flora unter einen Hut gebracht, Arten wie Sittich, Lattich und Rettich.

Strenggenommen handelt es sich hierbei nicht um die Gattung der Tiche, sondern der Ttiche. Die Schreibweise mit tt am Wortanfang ist hierbei zwar eine ungewöhnliche, aber die korrekte. Nachdem wir also die Semantik der Gattung an sich geklärt haben, können wir uns nun den einzelnen Arten zuwenden: dem Sittich, dem Lattich und dem Rettich. Hier fällt sofort auf, dass die Vorsilben si, la und re wie Ausschnitte aus der solmisatorischen Tonleiter do re mi fa so la ti do erscheinen. Und in der Tat sind die Ttiche in dieser solmisatorischen Ordnung klassifiziert. Der Sittich ist in dieser Ordnung eine artfremde Art, doch dem Lattich und dem Rettich sind noch die Arten Dottich, Mittich, Fattich, Sottich und Tittich hinzuzufügen.

Womit wir zu der Herkunft der einzelnen Ttich-Arten kommen, die sich aus den bisherigen Überlegungen leicht feststellen lässt: Der Dottich kommt aus Dortmund, der Rettich aus Recklinghausen, der Mittich aus Minden, der Sottich aus Soest und der Lattich aus Landshut. Es fällt auf, dass eine große Konzentration der Ttiche im Nordrhein-Westfälischen herrscht, einzig der Lattich kommt aus dem bayrischen Landshut. Eine große Ausnahme bildet der Fattich, der nicht aus Deutschland, sondern aus der Türkei kommt, wo er unter der Schreibweise Fatih bekannt ist.

Übersichtstabelle
Herkunft der Ttiche

DO  Dortmund        Dottich
RE  Recklinghausen  Rettich
MI  Minden          Mittich
SO  Soest           Sottich
LA  Landshut        Lattich

FA  Türkei          Fatih

Die Herkunft des Tittich hingegen ist nicht geklärt und muss noch erforscht werden. Viele Ttichologen schlagen deshalb vor, den Tittich als artfremde Art zu klassifizieren und das solmisatorische Klassifizierungssystem von do re mi fa so la ti do zu do re mi fa so la si do zu ändern, womit der Sittich zu einer originären Art der Ttiche hochklassifiziert werden würde. Der Sittich, der im übrigen aus Siegen kommt, einer Stadt, die ebenfalls in Nordrhein-Westfalen liegt.

Sehr kontrovers ist die Diskussion über eine weitere artfremde Art der Ttiche, über den aus Bochum kommenden Bottich, da er als Ding weder der Fauna noch der Flora zugerechnet werden kann, was unter Ttichologen zu hitzigen Debatten führte, ob er unter der Gattung der Ttiche geführt werden kann.

Königliches Krippenspiel à la Bach

Dieses Jahr an Weihnachten hörte ich zum ersten Mal die zweite Orchestersuite von Johann Sebastian Bach in voller Länge. Nicht nur das berühmte Menuett und die berühmte Badinerie am Ende, sondern die Ouvertüre am Anfang, das Rondeau, die Sarabande, die Bourrée und die Polonaise zur Mitte und am Ende das Menuett und die Badinerie. Dabei wurde mir klar, dass ich einen Soundtrack für die Weihnachtszeit in meiner Kindheit gefunden hatte.

Als Kind war ich ein begeisterter Krippenspieler. Am ersten Sonntag des Advent stellte ich die Krippe auf. Am Rand des Brettes steckte ich Tannenzweige in vorgebohrte Löcher, um einen Tannenwald rund um die Krippe zu simulieren. Eine alpenländische Krippe. In den Stall stellte ich den Ochsen mit seiner Futterkrippe. Nach und nach kamen die HirtInnen mit ihren Schafen vorbei. Eine ordinäre Landszene, die sich über die ganze Adventszeit hinzog. Eine lange Ouvertüre, wie in Bachs Suite. Ich versuchte sie durch leichte Änderungen im Arrangement zu verkürzen.

Zwei oder drei Tage vor Weihnachten kreuzten dann Maria und Josef mit ihrem Esel auf, um das Lager für die Geburt ihres Sohnes zu beziehen. Jetzt wurde es gemütlich im Tannenhain. Die HirtInnen holten Holz und machten Feuer, während der Ochs, trotz Gesellschaft des Esels, seine Futterkrippe hergeben musste. Josef machte daraus ein Bettchen für das zu gebärende Kind. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass es woanders gemütlicher gewesen wäre für Maria, die Gebärende. Das Rondeau der Suite untermalt diese Gemütlichkeit.

Dann, endlich: Heiliger Abend, dessen feierlichen Charakter die edle und ernste Sarabande unterstreicht. Sie wiegt das Neugeborene in den Schlaf, während die hirtige Krippengesellschaft zu den Klängen der Bourrée aus dem Feiern nicht herauskommt. Zu Sylvester wird dann sogar mit einer Polonaise aufgewartet, und der eine Woche alte Jesus wackelt schon wacker mit. Man wollte nicht aufhören zu feiern, aber damit sich der Kleine beruhigt, wird er zum Menuett in den Schlaf gewiegt.

Inmitten all dieser Feierlichkeiten fragte ich mich spätestens im polonaisschen Sylvestertrubel: Wo sind die heiligen KönigInnen? Wieso brauchen sie bis zum sechsten Januar, um den Stern zu deuten? So weise können sie nicht sein, wenn sie die ganzen Feierlichkeiten verpassen. Da waren die HirtInnen schlauer. Das Menuett machte mich melancholisch. Aber es half nicht: Erst am sechsten Januar kamen sie daher mit ihrem Dromedar, um der ganzen Gesellschaft eine würdevolle Krone aufzusetzen, umtermalt mit der wirbelnden Badinerie. Es war wie eine letzte Ekstase. Denn kaum war der letzte Klang verklungen, sagten sie schon: Bald kommt Herodes, der Kindermörder, um die Ecke.

Das ist die stöhnste Zeit im Jahr

Dieses Jahr kam der Schnee bereits im Advent, ganz am Anfang des Dezembers. Er kam nicht leicht und leis und weiß, sondern schwer und laut und schmutzig. Wie eine Sturzflut kam er herab und beschwerte die Welt.

Als die Sturzflut endete, ging ich am blassen Tag in den Tann, wo die Bäume unter der nassen Last zusammenzubrechen drohten. Ich spürte bereits das schmelzende Wasser, das sich auf die Welt ergießen würde.

Als es dunkelte, ging ich zurück in der Stube, Dort wurde es mir von den brennenden Kerzen unerträglich heiß. Wir rückten unsere schwitzenden Körper auseinander. Ich öffnete das Fenster und ließ das kalte Nass herein. Auch der ferne Glockenschlag kam herein. Du stöhntest laut und sagtest: Mach das Fenster zu – dieser Klang macht mich bang.

 

Deter und Pieter

Es waren einst Dieter und Peter. Wenn ihnen langweilig war, nannte Dieter Peter Pieter und Peter Dieter Deter. Meistens war ihnen jedoch nicht langweilig, denn sie wuchsen in Pasing auf und waren jede freie Minute an der Würm, die an Pasing, umrandet von grünen Auen, vorbeifließt.

Später, während Peter in Pasing blieb, zog Dieter nach Dasing. Dasing fand Dieter langweilig, langweiliger jedenfalls als Pasing, fließt doch an Dasing, im Gegensatz zu Pasing, nicht die Würm, umrandet von grünen Auen, vorbei. So fuhr Peter oft von Pasing nach Dasing, um Dieter zu besuchen und ihm seine Langeweile zu vertreiben. Doch selbst Peters Besuche konnten Dieters Langeweile nicht vertreiben. Peter griff daher zum letzten Mittel, um Dieters Langeweile zu vertreiben: Er nannte ihn Deter.

Als auch das nicht half, beschloss Peter, aus Dasing ab- , nach Dasing zurückzureisen und Dieter seinem langweiligen Schicksal in Dasing zu überlassen. Während seiner Abreise traf Peter Doro, bei der er sich interessanterweise als Pieter vorstellte. Peter beschloss daraufhin, bei Doro in Dasing zu bleiben. Währenddessen hatte Dieter beschlossen, seiner Langeweile in Dasing ein Ende zu bereiten und zurück nach Pasing zu gehen. Er hörte die Ufer der Würm nach ihm rufen.

Und auch Pedi rief nach ihm. Pedi hatte sich überraschend bei ihm gemeldet. Pedi hatte Dieter, das sei nur nebenbei erwähnt, interessanterweise schon immer Deter genannt. Pedi wohnt nicht in Pasing, sondern in Menzing, was aber von Pasing würmabwärts fußläufig gut zu erreichen ist.

Die Würm fließt, aus dem Starnberger See kommend, westlich an Pasing und Menzing vorbei und mündet nördlich von Dachau in die Amper. Die ehemals eigenständige Stadt Pasing und die ehemals eigenständigen Gemeinden Ober- und Untermenzing sind seit 1938 Teil der Stadt München. Die Gemeinde Dasing liegt etwa 45 Kilometer nordwestlich von Pasing im schwäbischen Landkreis Aichach-Friedberg.

Wieso soll ich meine Seele halten?

In meiner Trauer und Melancholie las ich schon früh die Zeilen von Rainer Maria Rilke, die er als Liebes-Lied betitelte:

Wie soll ich meine Seele halten, dass
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süßes Lied.

 

Wie soll ich meine Seele halten, dass sie nicht an deine rührt? In meiner Trauer und Melancholie glaubte ich, diese Frage fragen zu müssen. Diese verzweifelte Frage. Mittlerweile frage ich mich: Wieso soll ich meine Seele halten? Ich kann das gar nicht, meine Seele halten. Wenn ich sie halte, trenne ich mich von dir, treibe mich in die Einsamkeit und verfalle in Trauer und Melancholie. Ich habe sie lange genug gehalten, weil ich von Menschen umgeben war, die nicht in der Lage waren, mich zu lieben. Ich will sie nicht mehr halten, sondern sie los lassen. Ich will sie sein lassen. Wieso soll meine Seele nicht an deine rühren? Sie tut es ohnehin, ob ich will oder nicht. Nein, ich werde sie auch nicht hinheben über dich zu andern Dingen. Auch das kann ich nicht. Ich kann sie nur an deine rühren lassen, damit sie durch dich zu andern Dingen durchdringt. Es gibt keinen Umweg um dich, es gibt nur den Weg durch dich.

Verloren im Dunkel, an einer fremden stillen Stelle, wo ich in meiner Trauer und Melancholie versinke, war ich lange genug. Dort will ich nicht mehr sein. Ich will weiterschwingen, wenn deine Tiefen schwingen. Ich liebe deine Tiefen, auch wenn du sie mir nicht zeigen willst, weil du glaubst, deine Seele halten zu können, halten zu müssen. Auch du kannst sie nicht halten, auch sie schwingt zu mir durch und durch mich hindurch zu andern Dingen. Ich will durch die Rührung unserer Seelen ins Licht treten. Licht und Dunkel, was ist das überhaupt? Es ist das, was das Auge wahrnimmt. Dich will mein Auge sehen, durch das Dunkel hindurch, dich will meine Seele rühren, weil mich deine rührt. Natürlich sind wir zusammen, auf dem Instrument, das wir Leben nennen.

Das ist das Wunder: dass ich lebe trotz all der Menschen, die nicht in der Lage waren, mich zu lieben, die mich in meine Trauer und Melancholie trieben zu einer fremden stillen Stelle, wo keine Seelen schwingen, am Ende aller Hoffnung, verloren im Dunkel, wo ich meine Seele halten musste, um zu überleben. Ich habe überlebt. Es ist ein Wunder, dass ich lebe und an deine Seele rühre und du an meine. Wieso soll ich meine Seele halten? O süßes Lied!