Archiv der Kategorie: Wirres

Das Leben zu entwirren kann sehr verwirrend sein.

So etwas darf nie mehr passieren!

Geschichte eines totalen Gutmenschen

Er ist Politiker von Beruf, Bürgermeister einer Kleinstadt, aber ein moderner Politiker, mit Instagram- und Twitter-Account, er steht an der KZ-Gedenkstätte und sagt: So etwas darf nie mehr passieren!, als ein paar Kilometer entfernt, bei der Döner-Bude am historischen Marktplatz, dem zentralen Treffpunkt der Kleinstadt, einer einen anderen erschießt. Er eilt hin und sagt noch am Tatort: So etwas darf nie mehr passieren!, und wie ein Mantra wiederholen die eingetroffenen Gutbürger der Kleinstadt seine Botschaft: So etwas darf nie mehr passieren!

Als die erste Aufregung vorbei ist und die meisten Gutbürger sich wieder verzogen haben, um ihre gute Tat gegen das Böse auf Instagram zu posten, eilt er zurück zur KZ-Gedenkstätte, wo die jüdische Gemeinde ausgeharrt hat, und wiederholt pflichtbewusst seine Botschaft: So etwas darf nie mehr passieren!

Da fliegen plötzlich Eier auf ihn, gut geworfen, denn sie treffen ihn, und einer – es ist wohl kein Gut-, sondern ein Wutbürger – schreit: Wenn du noch einmal sagst So etwas darf nie mehr passieren!, dann hau ich dir so eine in die Fresse, dass dir nie mehr was passiert.

Bitte seien Sie vernünftig, besuchen Sie Bordelle!

ein Aufruf des bayrischen Ministerpräsidenten Markus S.

Liebe Mitbürgerinnen und vor allem -bürger, wieder einmal wende ich mich in dieser schwierigen Zeit an Sie, diesmal mit einer besonderen Bitte: Besuchen Sie Bordelle! Die besondere Situation, in der wir uns befinden, erfordert besondere Aufmerksamkeit, erfordert, die Aufmerksamkeit auch dahin zu richten, wo wir sie bisher nicht hingerichtet haben: Hier in Bayern, in unserem schönen Land, wo der Stand der Ehe besonders hochgehalten wird, möchte man meinen, dass Bordelle nicht notwendig seien. Doch die Krise hat uns eines Besseren belehrt. Die Krise hat die scheinbar so solide Institution der Ehe ins Wanken gebracht, es herrscht größere Unzufriedenheit als sonst in ehelichen Partnerschaften – Stichwort häusliche Gewalt – und ich habe daher eine Expertengruppe einberufen, die sich mit diesem Thema befasst hat. Diese Expertengruppe kam zu dem einhelligen Ergebnis, dass Bordellbesuche für Ehemänner zwingend erforderlich sind, um die Ehe aufrechtzuerhalten beziehungsweise ihren äußeren Schein zu wahren, ja, obwohl die Scheinehe verboten ist, bestehen viele Ehen scheinbar nur zum Schein. Ich bitte Sie um Verständnis, dass ich auf diese Problematik der Scheinehen momentan nicht näher eingehen kann, wichtig erscheint mir im Moment, dass wir alle zusammenhalten, um diesen Schein zu bewahren, und deshalb noch einmal: Besuchen Sie Bordelle!

Ich habe mich vor Ort überzeugt und war begeistert, wie die Hygienestandards eingehalten werden, ja, ich weiß, und da bin ich ganz ehrlich, Sex mit Maske ist lästig, aber es geht im Moment nicht anders, ich bitte Sie – zusätzlich zum Tragen einer Maske und den sonstigen mittlerweile selbstverständlichen Hygienevorkehrungen – möglichst solche Stellungen zu wählen, bei denen die Gesichter maximal weit entfernt sind, wie etwa Doggy oder 69, mir ist bewusst, es entspricht mehr unserem christlich-sozialen Ideal, sich dabei ins Gesicht zu sehen, aber außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen, und ganz ehrlich: Auch Stellungen wie Doggy oder 69 können Spaß machen, ich denke, ich spreche da aus Erfahrung.

Außerdem möchte ich allen Bordellbediensteten danken, sie arbeiten wirklich hochprofessionell, ich durfte mich davon überzeugen, und sie leisten einen nicht zu unterschätzenden Beitrag für unsere christlich-soziale Wertegemeinschaft. Deshalb noch einmal: Klatschen alleine reicht nicht für diese Menschen, die sich in dieser Krise ganz in den Dienst unserer Gesellschaft stellen – besuchen Sie unsere schönen bayrischen Bordelle, damit diese auch in Zukunft ihre gesellschaftlichen Funktionen erfüllen und wir unsere Schein…, nein, was red ich da: Unsere Ehen aufrechterhalten können!

Sus und Mari (Zwei Schwestern) – Versuch einer Szene

Sus und Mari stellen gerne Situationen dar: Sus schwimmt durch einen Fluss, während Mari am Ufer bleibt. Als Sus am anderen Ufer ankommt, rufen sie einen Kameramann, der sich mit seiner Kamera auf einem Boot in der Mitte des Flusses befindet. Der Kameramann macht ein Bild. Das Bild zeigt Mari auf der einen, Sus auf der anderen Seite des Flusses. Sus und Mari nennen das Bild Hierzulande und dortzulande, hier mit und dort ohne Gewande, denn Sus hat sich zum Schwimmen ausgezogen und steht nackt dort, während Mari sich hier Sus‘ Kleid so über den Kopf gezogen hat, dass nur ein Schlitz für ihre Augen freibleibt. Das Bild ist sehr bekannt. Es macht die beiden berühmt. Die Feuilletonisten stürzen sich auf das Bild, rätseln über sein Motiv und kommen fast einhellig zu dem Ergebnis, dass man dort, in der Fremde, nackt ist, und hier, in der Heimat, sich lächerliche Verkleidungen über seinen Körper wirft. Sus und Mari meinen dazu: Das kann schon so sein. Kleidung wird schrecklich ideologisiert. Im Winter gehe ich gerne vollverschleiert, sagt Sus, weil es mich im nackten Gesicht genauso friert wie am restlichen Körper. Deswegen bin ich keine Muslime. Ich dagegen schon, sagt Mari, auf das berühmte Bild zurückkommend: Als ich mir Sus‘ Kleid über den Kopf zog, wollte ich eine Muslime sein. Oder war ich doch eine Christin, der das Kopftuch zu weit in das Gesicht gerutscht ist? Ich mit meinen rötlichen Haaren bin die nackte Hexe am anderen Ufer, sagt Sus. Wo ist der Scheiterhaufen?

Wer sind Sus und Mari? Sie haben die selbe Mutter, aber nicht den selben Vater. Sus und Maris Mutter Anne schimpft über die Väter ihrer Töchter, von denen sie sich jeweils kurz nach der Zeugung getrennt hat. Keiner der beiden Väter ist bei der Geburt von Sus und Mari dabei gewesen. Keiner ist später im Leben der beiden dabei. Es ist ein Heranwachsen ohne Väter. Vielleicht ist das der Grund, weshalb die beiden als Kinder beschließen, Nonnen zu werden.

Mari kennt Wolfgang und sagt: Wolfgang heißt Thomas, aber ich nenne ihn Wolfgang, denn er hat einen Gang wie ein Wolf. Von Wolfgang gibt es ein Bild, das ihn auf einer Kloschüssel sitzend zeigt. Das Bild heißt: Wolfgang beim Stuhlgang.

Mari hat ein Kind geboren. Ob Wolfgang oder Thomas der Vater ist, weiß sie nicht. Am liebsten sei ihr die Vorstellung, sie habe ein Kind von zwei Männern, sagt sie. Das Kind ist – nach langem Kampf – bei der Geburt gestorben. Mari hat dabei viel Blut verloren. Sus hat ein Bild gemacht mit Mari in ihrem verlorenen Blut. Sie nennen das Bild: Das ist mein Blut, das für euch Männer vergossen wird, zur Vergebung der Sünden. Ein Feuilletonist kommentiert das Bild entnervt mit: Die kranken Schwestern, woraufhin Sus meint: Mari und ich werden keine Nonnen mehr, wie wir das als Kinder wollten, sondern Krankenschwestern. Denn die kranke Gesellschaft braucht ihre Schwestern.

Weiße Talkshow, Thema: LSB

Weiß ist im Moment keine Modefarbe, obwohl so viele weiße Wagen auf den Straßen fahren, aber das sind wahrscheinlich alles Rassisten. Oder sie haben sich schon einen neuen schwarzen bestellt und müssen notgedrungen mit ihrem weißen herumfahren, bis sie den schwarzen bekommen. Vielleicht sollte man als Weißer-Wagen-Besitzer den Shitstorm einfach ertragen und den weißen Wagen behalten, ist ja auch ökonomisch und sogar ökologisch sinnvoller. Aus Überzeugung zur Friday-for-future-Demo im weißen Wagen vorfahren, nicht mit dem trendigen schwarzen, das wäre doch mal ein mutiges Zeichen. Jedenfalls war ich in einer Talkshow eingeladen und wurde mit einem weißen Wagen vom Bahnhof abgeholt. Das geht ja gut los, dachte ich mir, nächstes Mal nehme ich mir mein Klapprad mit oder ich gehe zu Fuß.

Der Stargast der Show, eine bekannte lesbische schwarze Behinderte, war schon da als ich mit dem weißen Auto eintraf, ich fragte sie nicht, ob sie mit einem schwarzen Auto abgeholt wurde, denn wir legten sofort los und der Moderator fragte sie: Wie ist das Leben als lesbische schwarze Behinderte, als LSB?
Die LSB schnappte tief nach Luft, ich spürte ihre Anspannung und Empörung, und sie sagte: Zuerst werde ich mit einem nicht barrierefreien Zugang konfrontiert, nun werde ich von der ersten Frage an stigmatisiert, werde in die lesbische schwarze behinderte Ecke gedrängt. Können Sie mich nicht wie einen normalen Menschen behandeln?
Natürlich, sagte der Moderator, aber Sie selbst haben ja die Aufmerksamkeit auf sich gezogen mit dem Post #LSBlivesmatter.
Ich sehe schon: Hier schlägt mir die totale Ignoranz entgegen, die Ignoranz der weißen Elite.
Sie sprang auf und verließ schluchzend den Raum.

Dieser Abgang des Stargastes war früh und nicht geplant. Um sie herum war die ganze Show aufgebaut. Nun sollte eigentlich Funny van Dannen auftreten mit seinem Song Lesbische schwarze Behinderte – sozusagen die Hymne der LSB-Bewegung. Funny trat auch auf, aber er sang seinen Song Menschenverachtende Untergrundmusik.

Nach seinem Auftritt ging Funny gleich wieder, und ich blieb als einziger Gast in der Show übrig. Der Moderator fragte mich:
Herr Hinterstoisser, was trieb Sie zu dem verhängnisvollen Post #Whitelivesmatter auf Ihrer Seite?
Wieso verhängnisvoll?
Nun, vor allem die LSB-Bewegung protestierte ja heftig und bezeichnete Sie als Rassisten, dem das Schreiben verboten gehört.
Ja. Krasse Intoleranz. Da muss sich die LSB-Bewegung wohl mit ihrer eigenen Intoleranz auseinandersetzen.
Was wollten Sie mit Ihrem Post aussagen?
Ich weiß es nicht. Ich hab ihn einfach gemacht. Aus einem Affekt heraus, ohne ihn intellektuell durchzukauen. Ich hatte eine Wut auf diese ganzen Gutmenschen, die plötzlich gegen Rassismus sind und doch ständig nur neue Feindbilder suchen.
Sie haben den Post nachträglich geändert.
Ja, ich bin ein feiger Mitläufer. Ich habe Angst, in die Trump-Ecke geschoben zu werden. Ich steige ein in das beliebte Schwarz-Weiß-Malen: Rassist – Gutmensch. Täter – Opfer. Die Welt braucht Einteilung. Um nicht die Verantwortung für das eigene Tun übernehmen zu müssen.
Aber die Weißen haben nun mal jahrhundertelang die Schwarzen unterdrückt.
Ja. Und Sie zahlen einen hohen Preis dafür. Der weiße Kolonialherr bringt den schwarzen Neger um und verkrüppelt sich selbst. Er ist ein seelischer Krüppel, er hält sich selbst nicht aus. Das ist traurig. Hätte er den Neger nur leben lassen. Aber etwas trieb ihn zu dieser Tat. Was?

Da sprang plötzlich Funny überraschend aus dem Dunkel ins Licht und begann zu singen: LSB.

Die Omama (Teil 1 der Hirsch-Dilogie)

Ich habe immer schon viel vorgehabt mit meinem Leben, sagt Vorderbrandner, aber meine Bitterkeit hat mich lange daran gehindert, mir das Viele vorzunehmen. Meine Bitterkeit gegenüber meiner Großmutter zum Beispiel, denn sie war ein sehr bitterer Mensch. Eine erste Wendung in meinem Leben ergab sich an jenem Abend im Jahr 1993. Was war geschehen?

Meine Großmutter war vor Kurzem gestorben, da lud mich ihre damals noch lebende Schwester nach Wien ein. Als Sechzehnjähriger dachte ich mir: Jetzt kriechen sie heraus aus ihren Löchern mit ihrem schlechten Gewissen, und ich soll dafür herhalten, es zu beruhigen. Ich hatte keine Lust, nach Wien zu fahren. Trotzdem stieg ich in den Zug. Wahrscheinlich hatte ich die Hoffnung, es würden sich andere Dinge ergeben, als in der alten muffigen Wohnung der alten Frau herumzusitzen.

Am Tag meiner Ankunft kam Franzi zur Schwester meiner Großmutter. Franzi war drei Jahre älter als ich, sie war die Enkelin der Schwester meiner Großmutter. Meine Großmutter hätte gesagt: meines Geschwisters Kinds Kind – Genitiv in Vollendung, Klarheit in der Sprache. Franzi war ein glühender Verehrer der Musik von Ludwig Hirsch, sie konnte Komm großer schwarzer Vogel mit ihrer Gitarre auswendig vortragen. Sie fragte mich: Kommst du mit ins Konzert heute Abend ins Volkstheater? Ludwig Hirsch war für mich damals ein morbider, lebensmüder Sinnierer mit wenigen lichten Momenten. Kein Wunder, dass Franzi niemand anderen gefunden hatte, der sie begleitet. Aber Franzi gefiel mir, mir gefiel die Vorstellung, ihr junger Begleiter und Liebhaber zu sein. Darf man Liebhaber eines Geschwisters Kinds Kind sein? Was darf man auf dieser Welt? Meine Großmutter hatte mir hauptsächlich erklärt, was man NICHT darf.

Wir waren recht früh im Volkstheater auf unseren Plätzen. Ich beobachtete die Leute, die in den Saal kamen und ihn füllten. Eine Magie erfasste mich. Als sei ich Teil eines verbotenen Abenteuers. Ich war in Wien, im Volkstheater, neben Franzi, um die verbotenen, dreckigen, morbiden Lieder des Ludwig Hirsch zu hören. Meine Großmutter konnte mich nicht daran hindern. Ich spürte knisternde Erregung in mir. Ich nahm Franzis Hand und drückte sie ganz fest. Franzi, meine Freiheit! Im nächsten Moment schämte ich mich dafür. Gleich danach wurde es dunkel im Saal. Ludwig Hirsch begann, seine Geschichten zu erzählen. Johnny Bertl suonierte auf seiner Gitarre. Als sie Die Omama vortrugen, hatten sie mich endgültig gepackt. Ich dachte daran, wie schlecht meine Oma Märchen erzählen konnte. Wie ich mich ärgerte, wenn sie beim Märchen der Sieben Raben immer von sechs Raben sprach, weil sie an ihre eigenen sechs Brüder dachte. Feen, Prinzen und starke Männer waren nicht ihre Welt – lieber sprach sie von Hexen, bösen Gestalten und Schwächlingen. Gefühle übermannten mich. Oma, du bitterer Mensch, trotz oder wegen der sechs Raben: Ich habe dich so geliebt! Ich saß in meinem Sessel und spürte, wie sehr mich meine Oma geliebt hat, auch wenn sie mir das nur auf ihre bittere Weise zeigen konnte. Franzi nahm mich an der Hand und Tränen flossen über meine Wangen. Jetzt wusste ich, was ich in meinem Leben machen will: die Gitarre spielen wie Johnny Bertl und Geschichten erzählen wie Ludwig Hirsch.

Der Abend im Volkstheater gilt heute als sehr lichter Moment im Schaffen des Ludwig Hirsch, als ein legendärer Vortrag. An der Gitarre, sagt Vorderbrandner, bin ich ein Rhythmusschraddler, weit weg vom Suonieren des Johnny Bertl. Im Geschichtenerzählen habe ich mehr Übung, aber ich erstarre immer noch vor Ehrfurcht, wenn ich daran denke, wie Ludwig Hirsch Die Omama erzählt hat, damals im Wiener Volkstheater im Jahr 1993. Franzi? Kurz nach Ludwig Hirschs Tod kletterte sie, in einer Art letztem Abenteuer, im Dunkel der Nacht auf die Kirche am Steinhof und stürzte sich in die Tiefe.

 

Die Omama 1993 im Wiener Volkstheater

 

In memoriam Franzi: Komm großer schwarzer Vogel

Erinnerungen an eine Zeit der Angst

Klopapier war einst – es ist noch gar nicht so lange her, es war, als ein Virus über unser Land hereinbrach und Angst und Schrecken verbreitete –  ein wertvolles Gut, ein Wertpapier sozusagen. Heute ist es wieder ein gewöhnliches Gebrauchsgut, obwohl seine Herstellung, vor allem unter Berücksichtigung der Klimadebatte, sehr energieintensiv ist.

Es ist nicht selbstverständlich, sich den Hintern mit Klopapier abzuwischen, mit diesem Luxusgut, nein, es ist eine Handlung, die mit großer Demut vollbracht werden sollte. Ich habe mir gerade eine neue Packung dieser tollen Rollen besorgt und habe sie, als ich sie zuhause sorgsam aus ihrer Verpackung geschält hatte, lange und liebevoll betrachet.

Nun werde ich eine davon, aus Solidarität, in den Landkreis Gütersloh schicken. #WeFightCorona. #WeShitTheVirus.

Scheider von Gut und Böse

Ich sah mich mit der Aufgabe konfrontiert, das Gute vom Bösen zu unterscheiden, ja, die Aufgabe wurde mir aufoktroyiert, indem man mir sagte: Seien Sie der Scheider von Gut und Böse! Ich fing daraufhin zu denken an, denn wie sollte ich diese Aufgabe sonst angehen als denkend: Wenn ich gut bin, sehe ich das Böse. Wenn ich böse bin, sehe ich das Gute. Oder ist es umgekehrt: Wenn ich gut bin, sehe ich das Gute… Ehe ich den Gedanken zuende denken konnte, hörte ich jemanden sagen: Negerin, hör auf mit dem Scheiß! Ich wollte einschreiten, denn es schien ein klarer Fall von Rassismus vorzuliegen, als die Angesprochene die Pistole auf den Rassisten richtete und sagte: Ich knall dich ab, du weißer männlicher Macho! und sie ließ ihren Worten Taten folgen, verballerte ihre ganze Munition, und der weiße männliche Macho, der sich eben als Rassist geoutet hatte, starb in einem roten Blutbad.

Ich versuchte gerade, das Erlebte zu verarbeiten, als sie, die ich hier, um dem Lesefluss zu dienen, scheiß Negerin nenne, ohne rassistischen Hintergrund, nur zur besseren Unterscheidung, sagte: Guck nicht so blöd, sonst knall ich dich auch ab! Woraufhin ich dachte: Stimmt, logisch, ich bin auch ein weißer männlicher Macho, wobei der Macho in mir, naja, bin ich nicht eher ein weißer männlicher Weichling?, doch plötzlich überkam mich Angst, die meine Macho- und Weichlingsgedanken verdrängte, und ich beeilte mich zu sagen: Nein, nein, ich guck nicht blöd, im Gegenteil, ich find das gut, klarer Fall von Rassismus, da muss man Zeichen setzen, #notoracism, ■ und so, ja gut, das sind Zeichen, aber ich meine, nur Zeichen?, nein, man muss Taten setzen, es abknallen, dieses weiße männliche Machoschwein, dessen Vorfahren die Neger erst ausgebeutet und dann getötet… Sie winkte ab und ging weg, und ich dachte mir: Wow, krasser Einstieg in meine Tätigkeit als Scheider von Gut und Böse, und folgende Fragestellung drängte sich mir auf: Wäre die scheiß Negerin mit der Pistole ein Bleichgesicht gewesen – wäre es dann Mord gewesen, oder lediglich die Rache einer unterdrückten weiblichen Weißen an einem weißen männlichen Macho? Ich hatte das Gefühl, die Gedanken türmten sich in mir auf, sie zwangen mich in die Knie, und insofern war es gut, dass ich auch diesen Gedanken mit den Weißen beiderlei Geschlechts nicht zuende denken konnte, denn eine Person mit einem kleinen schwarzen Hütchen auf dem Kopf kam mir entgegen, was ich lustig fand. Die Person sagte: Guck nicht so blöd! Das kam mir bekannt vor, doch dann sagte die Person: Bist wohl ein scheiß Nazi, oder was? Ich dachte, ja: Ich dachte schon wieder, und diesmal dachte ich: Vielleicht trage ich die Haare zu kurz?, doch dann begriff ich: Nein, der Nazi ist im Kopf dieser Person mit dem kleinen schwarzen Hütchen auf dem Kopf, ein festes Konzept im Kopf dieser Person, der böse Nazi, ein durchaus plausibles Konzept, ich schien dem Scheiden von Gut und Böse näher zu kommen, als die Person rief: Wir sind das auserwählte Volk und ihr seid alles scheiß Nazis! Schämst du dich denn nicht, du Verbrecher, du Mörder des auserwählten Volkes! Ich böse, Person mit schwarzem Hütchen gut? So denkt zumindest die Person mit dem schwarzen Hütchen, unerbittlich, und in mir blitzte der Gedanke auf, das gut und böse verwerfliche Konzepte sind, Konzepte, die in eine Spirale der Gewalt führen, doch kaum war der Gedanke vom Blitz erleuchtet, fielen Schüsse, begleitet von lauten Schreien – Allahu akbar donnerte es in meinen Ohren, und ich sah die Person mit dem schwarzen Hütchen und mich als die nächsten toten weißen männlichen Machos im roten Blutbad, überhaupt eine ganz schöne Männerveranstaltung hier, war die Negerin nicht doch ein Neger und die Feministin ein Feminist?, doch vor unserem Tod wachte ich schweißgebadet auf und erschrak darüber, wie echt sich dieser Traum angefühlt hatte.

Beute und Beate 2: Beates Unfall

Fortsetzung von Teil 1

Als Halbwaise, ohne Mutter und mit dem Vater im Gefängnis, zog ich zu Beate, die ein kleines Zimmer frei hatte.

Es war aufregend, bei Beate zu wohnen. Sie hatte viele Freier. Es ging laut und energisch zur Sache, das hörte ich durch die Wände. Ich lag während dieser Liebesorgien auf meinem Bett, fingerte an mir herum und fantasierte von Gruppensex mit Beate und ihren Freiern.

Eines Tages, mitten in diese Liebesidylle, kam ein Brief von Hansi, ganz klassisch, auf Papier mit der Post. Ich saß auf dem Küchentisch, öffnete ihn und begann zu lesen: Meine liebste Beute... Das reichte mir schon. Ich erwartete nichts als Schwachsinn, dummes Gesülze von Liebe und so. Ich legte den Brief weg, ging in mein Zimmer und ließ mich auf mein Bett fallen. Außer mir war niemand zuhause, dachte ich, doch dann hörte ich jemanden in der Küche herumkramen. Es war nicht Beate, es waren nicht ihre Geräusche. Wer war das? Dann klopfte es an meiner Tür. Es war einer von Beates Freiern, ich kannte ihn vom Sehen. Er hielt Hansis Brief in der Hand und sagte: Ich heiß zwar nicht Hansi, meine Liebste, aber willst du meine Beute sein?

Mich erregte, wie er das sagte. Ich war wie gebannt, es lief mir heiß über den Rücken. Ich zog mich aus und ließ mich von ihm ans Bett fesseln. Als ich nackt und gefesselt vor ihm lag, sagte er: Ich komm gleich wieder, muss nur kurz telefonieren. Das erregte mich nur noch mehr. Als er zurückkam, ließ er seine Hose runter und rammte ihn in mich rein. Trotz meiner Erregtheit war mir das zu viel, zu heftig, aber ich dachte: So ist eben Sex mit einem Mann – hart und unerbittlich. Mitten in sein heftiges Rammeln klingelte es an der Wohnungstür, er zog ihn raus, grinste mich mit einem breiten Macholächeln an, ging zur Tür und öffnete. Ich hörte Lärm im Treppenhaus. Mir wurde unheimlich, ich bekam Angst. Plötzlich standen unzählige Typen in meinem Zimmer, sie ließen ihre Hosen runter, sie schwangen ihre Schwänze vor mir, einer packte mich und steckte ihn in meine Muschi, ein anderer steckte ihn mir in den Mund, es würgte mich, sie lachten, ich fühlte mich eklig und schmutzig, aber sie hörten nicht auf, sie bespukten und schlugen mich, sie zogen mich an den Haaren, sie steckten die Schwänze ohne Vorbereitung in mein Arschloch und es tat so weh, ich war mir sicher, gleich zu sterben, da kam plötzlich Beate ins Zimmer und schrie:

AUFHÖREN!!!

Ein Schrei, der das Treiben zum Stillstand brachte. Sie ging auf den Typen los, der mit Hansis Brief ins Zimmer gekommen war, woraufhin er sie heftig ohrfeigte. Sie war wohl kurz bewusstlos und schlug ungebremst mit dem Kopf auf dem Boden auf. Schwere Gehirnschädigung, sagen die Ärzte. Seitdem ist sie ein Spasti und lallt nur mehr statt zu sprechen.

Ute und ich saßen wie hingemalt im Gras. Die Vögel zwitscherten ihre Frühlingslieder.

weiter zu Teil 3

Konzentration auf das Wesen

Ich durchstreifte, wie so oft, die Stadt, was – das behaupte ich – zu meinem Wesen gehört. Nichts lässt sich jedoch festhalten von meinen Streifzügen. Denn was gestern war, ist heute schon ganz anders. Ich schaute also, was heute anders war als gestern, in einer Art Momentaufnahme, nicht wissend, nur ahnend, was morgen anders sein könnte als heute. Ich bewegte mich im Kreis der Zukunft langsam fort, um irgendwann auf die Vergangenheit zu treffen. Bei diesen Bewegungen kam ich an einem Schild vorbei:

Ich war mit dem Fahrrad unterwegs. Eine Durchfahrt war nicht möglich, ohne einen Straftatbestand herbeizuführen. Ich trug keinen Rock und bin auch kein Kind, dennoch hätte ich wohl zu Fuß weitergehen können. Darauf hatte ich jedoch keine Lust. Also beschloss ich, zum Anwesen zuzufahren, was zwei Vorteile bot: Ich verhielt mich korrekt im Sinne des Schildes und ich hatte Gelegenheit, das Anwesen zu betrachten.

Am Anwesen angekommen, sah ich alte hohe Bäume, die das Grundstück umrandeten und in der Mitte die Reste eines abgerissenen Hauses. Niemand befand sich auf dem Grundstück. Ist ein Anwesen, an dem niemand anwesend ist, noch ein Anwesen? Oder ist es ein Abwesen? Es ist wohl ein Abwesen. Natürlich, es ist ein Abwesen. Herrlich, wie logisch Sprache sein kann!

Das Schild, aufgrund dessen ich mich für die Zufahrt zum Anwesen entschieden hatte, hat jedoch seinen Zweck verloren, denn es regelt die Zufahrt zu einem Anwesen, nicht aber zu einem Abwesen. Muss die Zufahrt zu einem Abwesen geregelt werden? Eine Regelung wäre sehr wahrscheinlich ratsam. Das bestehende Schild ist zu ersetzen und ein neues anzubringen mit der Aufschrift: Zufahrt zu Abwesen 1 gestattet, um die Entstehung eines rechtlichen Graubereiches zu vermeiden. Oder plant man, auf dem Grund des Abwesens ein neues Anwesen zu bauen? Man müsste dann das bestehende Schild nicht ersetzen, sondern lediglich mit einem neuen Schild ergänzen, das folgende Aufschrift tragen sollte, um der Historie und dem abwesenden Zwischenstatus des Anwesens gerecht zu werden: Hier stand einst ein Anwesen, dass durch Abriss zum Abwesen wurde. Nun entsteht ein neues Anwesen.

Andererseits: Das sind Gedankenspiele mit der Zukunft. An und Ab sind vergängliche Formen, die nur die Polarität des materiellen Daseins ausdrücken. Vielleicht sollte man sich die Arbeit mit den Schildern sparen und sich statt mit An- und Abwesen zu beschäftigen auf das Wesen konzentrieren, denn irgendwann trifft die Zukunft auf ihrer Kreisbahn durch die Zeit die Vergangenheit.

Markus und die Virologengang

eine aktuelle Einschätzung zur bayerischen Landespolitik von Valentin Vorderbrandner

Ich verstehe nicht, wieso Markus Söder als bayerischer Ministerpräsident nicht zurücktritt. Er könnte einem Virologen seinen Platz überlassen und müsste sich nicht ständig als Sprachrohr von diesem benutzen lassen. Oder streiten sich dann zuviele Virologen um das Amt des Ministerpräsidenten? Und Söder bleibt deshalb im Amt, um einen Virologen-Konflikt in schweren Zeiten wie diesen zu vermeiden? Man hat in diesen Tagen ja das Gefühl, dass es mehr Virologen als Corona-Viren gibt.

Es gibt aber auch einen zweiten Vorteil, den sein Rücktritt böte: Er müsste sich nicht ständig der Ratschläge seines Stellvertreters Hubert Aiwanger erwehren, der Söder kürzlich via Bayerischem Rundfunk vertrauensvoll Folgendes mitteilte:

Lieber Markus! Wenn wir so weitermachen, dann haben wir zwar keine Corona-Toten mehr, aber die Leute verhungern uns! Ja, oder, und da greif ich jetzt vielleicht der Kollegin Huml (bayerische Gesundheitsministerin, Anm.) vor, die Leute erschlagen sich gegenseitig oder sie bringen sich selber um.

Söder hat jedenfalls, als eine Reaktion darauf, eine unabhängige Expertengruppe CSU-naher Virologen und Verfassungsexperten einberufen, die unter Wahrung aller demokratischer Mittel seinen möglichen Rücktritt prüfen sollen. Und ich verspreche Ihnen, sagte Söder abschließend: Ich lasse nichts unversucht, um mich im Amt zu halten!