Die Umstände, die mich nach Mainz führten, können hier nicht näher erörtert werden. Wichtig ist jedoch, dass ich mich, als ich in Mainz war, an einen Bekannten erinnerte, der in der Nähe von Mainz, auf dem Gebiet einer ehemaligen, jetzt trockengelegten Aulandschaft, Tomaten züchtet und anbaut. Er nennt sein Produkt Automaten und findet das sehr lustig und originell. Ich finde es: naja – hat nicht Willy Astor schon über Au-Tomaten referiert? Und wie sagt Astor über sich selbst so richtig: Wortspiele sind rein mein Gebiet.
Das bringt mich zurück nach Mainz, wo der Main in den Rhein fließt, sozusagen ins Herz des Rhein-Main-Gebiets. In Mainz jedenfalls klingelte mein Mobiltelefon, und wie es der Plot dieser Geschichte wollte, war es mein Bekannter, der Tomatenzüchter aus Mainz, der mich anrief. Ich zögerte, ans Telefon zu gehen, war ich doch nach Mainz gekommen – so viel kann ich sagen -, um allein zu sein, oder zumindest, um niemanden zu treffen. Doch das Telefon klingelte und vibrierte mit ausdauernder Penetranz, sodass ich dran ging.
„Na, mein Freund!“ erschallte sofort die Stimme meines Bekannten: „In welchem Gebiet treibst du dich gerade herum?“
„Wie kommst du darauf?“ fragte ich mit einer Mischung aus Verunsicherung und Ablehnung.
„Wie komme ich worauf?“
„Mich zu fragen, in welchem Gebiet ich mich gerade rumtreibe!“
Er lachte lautstark, um ohne Pause mit seinen Ausführungen fortzufahren:
„Ich bin gerade in Österreich, Urlaub im Salzburger Land. Und fast jeder Einheimische, mit dem ich ein Gespräch beginne, sagt nach kurzer Zeit: Gebiete! Ich habe keine Ahnung, was sie damit meinen. Aber um das Gespräch nicht ins Stocken zu bringen, rede ich einfach weiter. Die meisten winken dann ab und entfernen sich wortlos von mir. Was ist bloß los mit diesen Leuten? Und was meinen sie mit Gebiete?
Kurz überlegte ich, ebenfalls abzuwinken und das Gespräch wortlos zu beenden, doch ehe ich mich dazu entschließen konnte, redete er weiter:
„Ich habe an dich gedacht, der du als Bayer ein halber Österreicher bist. Kannst du mir weiterhelfen?“
Ich atmete tief durch, dann entgegnete ich:
„Sie sagen nicht Gebiete!, sondern Geh bitte!“
„Nein, ganz bestimmt nicht: Sie sagen Gebiete, das I sprechen sie sehr lang.“ protestierte er vehement.
„Das machen die Österreicher gerne: Vokale lang sprechen. Und wahrscheinlich sagen sie Geh bitte! nicht im wörtlichen Sinn zu dir, sondern eher im Sinne von Nicht schon wieder du, lass mich in Ruh! Wahrscheinlich bist du mit deinem preussischen Geschwätz schon ortsbekannt.“
Jetzt war Ruhe in der Leitung, und für einen Moment tat es mir leid, ihn verbal so scharf angegangen zu haben. Vor allem mit der Bezeichnung seines Geredes als preussisches Geschwätz hatte ich einen wunden Punkt berührt, war doch seine Familie über Jahrhunderte in Ostpreussen ansässig gewesen, bis sie nach dem Krieg von den Russen vertrieben wurde.
„Aber ich will nur lustig sein, da die Österreicher doch ein so lustiges Volk sind!“ sagte er, um Rechtfertigung ringend.
„Die Österreicher sind lustig, weil sie nicht lustig sein wollen. Und du bist nicht lustig, weil du lustig sein willst. Erzwungene Lustigkeit wie beim Karneval, wo dreimal die Fanfare erklingt, damit jeder weiß, dass er lachen muss, ist dem Österreicher fremd.“
„Komisches Volk!“ murmelte er in sich hinein: „Naja, so lange bin ich ja nicht mehr hier.“ Er sammelte sich und fragte: „Wann kommst du mal wieder nach Mainz?“
„In nächster Zeit eher nicht“, sagte ich: „Du weißt ja – Rhein-Main – das ist nicht so mein Gebiet.“