Archiv der Kategorie: Weises

Ich weiß, dass ich nicht weiß. Ist das schon weis?

Anfänge eines Autors

Emil Hinterstoisser im Selbstinterview über seine Anfänge als Autor

emilh.de: Emil, Du schreibst und sagst zu deiner Schreiberei, dass du selbst nicht genau wüsstest, was du schreibst.

Hinterstoisser: Wenn ich das wüsste, könnte ich wahrscheinlich nicht schreiben. Ich schreibe das, was mir in den Sinn kommt. Wobei manche sagen, dass mir nur Unsinn in den Sinn kommt.

Wo sind deine Anfänge als Autor?

Auf dem Land, in der Wohnküche meiner Oma. Ich war ein recht geschwätziges Kind, immer am Fabulieren. Wenn meine Oma davon zu genervt war, erzählte sie mir folgende Geschichte:

Weißt was? Gschissen hat der Has.
Möchst du's weiterwissen? Hat er weitergschissen.

Eine wunderbare Geschichte: Der Hase beim Scheißen. Eine Kurz-Groteske. Ich mag sie bis heute. Ich habe dieser Geschichte damals als Kind folgende Fortsetzung angefügt:

Möchst du's nochmal weiterwissen? Hat's ihm 's Arschloch zrissen.

Das war sozusagen mein erster dramatischer Text. Meine Oma war entsetzt über diese Fortsetzung.

Agathe und die Dinge wie sie sind

Seltsamerweise, sagt Vorderbrandner, fällt mir zuerst ein, dass wir über die Brücke gingen, über die Brücke für Fußgänger und Fahrradfahrer, die die Stadtautobahn überquert. Agathe sagte, als ich sie von der Seite betrachtete mit den vorbeifahrenden Autos hinter ihr, dass alles gut ist, obwohl sie gerade von Dingen erzählt hatte, die nicht gut sind, eher schlecht, aber genau in diesem Moment beschloss ich, sagt Vorderbrandner, die Dinge nicht in gut und schlecht einzuteilen, sondern sie so zu lassen, wie sie sind. Wobei sich nun die Frage stellte, wie sie denn sind, die Dinge, und ob man das überhaupt ausdrücken kann, dieses Sein der Dinge. Wir gingen weiter, Agathe und ich, sagt Vorderbrandner, den Weg entlang, der uns in den Stadtpark führte. Es war Abend und dunkel. Es war ein dunklerer Abend als andere Abende, denn der Himmel war mit dicken dunklen grauen Wolken bedeckt, die, je später es wurde, immer dunkler wurden. Agathe fragte, was ich will, und ich dachte mir: Was für eine große Frage! Mir fiel in diesem Moment nichts anderes ein, als dass ich mit Agathe sein will unter dem wolkenverhangenen Himmel im Stadtpark. Die Wolken hatten etwas herrlich Behagliches, sie schirmten uns ab vom Rest der Welt, sie rahmten uns ein. Wir gingen ans Feuer, wo gekocht wurde und wir aßen vom Gekochten, es tat gut, denn ich fühlte mich geschwächt, von was kann ich nicht sagen, ich will es sagen, aber ich kann es nicht, vom Sein der Dinge vielleicht, aber gleichzeitig fühlte ich mich gestärkt vom Sein der Dinge, auf jeden Fall tat es gut, mir etwas einzuverleiben, mich zu stärken, und Agathe sagte, es tut gut, mir etwas einzuverleiben, mich zu stärken, und ich nickte, und plötzlich sah ich Sterne, überall, trotz der vielen Wolken am Himmel, aber nicht nur am Himmel, sondern in Agathes Augen, ja, in Agathes Augen sah ich das ganze Universum, und ich sagte: Agathe, in deinen Augen sehe ich das ganze Universum! und Agathe lächelte und sagte: Unsinn, iss noch was! und als ich ihre Stimme das sagen hörte, hallte das ganze Universum, das sagte ich aber nicht, sondern sagte: Agathe, ich will mit dir unter den Bäumen spazieren, und Agathe sagte: Ja, lass uns unter den Bäumen spazieren!

Wir spazierten unter den Bäumen, und ich war den Bäumen sehr dankbar dafür, dass ich mit Agathe unter ihnen spazieren durfte, und sie freuten sich still über meine Dankbarkeit, und ich war Agathe sehr dankbar dafür, dass sie mit mir unter den Bäumen spazierte, nein, dankbar ist das falsche Wort, vielleicht sollte ich dieses Unterdenbäumengehen überhaupt nicht kommentieren, sondern es einfach so sein lassen wie es ist, wobei sich hier wieder die Frage stellt, wie es denn ist, dieses Unterdenbäumengehen, eine Frage, die sich nicht abschließend beantworten lässt. Wir gingen weiter in die Stadt, und die Häuser waren schön, und ich hatte das Gefühl, dass die Menschen in ihnen sich freuten, dass wir an ihren Häusern vorbeispazierten. Ich blieb stehen und lehnte mich an eine Hauswand, und Agathe sah mich an und fragte: Ist alles gut? Sehr gut, sagte ich, und weiter wollte ich sagen: Ich bin so überwältigt von dieser Welt mit ihren Dingen, dass ich eine kurze Pause brauche, um all das fassen zu können, aber das sagte ich nicht, sondern dachte es mir, und während ich das dachte, sah ich in Agathes Augen wieder das ganze Universum, und ich spürte mein Glück beim Anblick dieser Augen, und ehe ich diesen Gedanken weiter denken konnte, gingen wir weiter, bis Agathe vor einem Haus stehen blieb und sagte: Das ist ein schönes Haus! und ich sagte: Ich schenke es dir! Ich schenke dir die ganze Welt! und ich dachte mir: In Agathe sehe ich die ganze Welt. Dann fing es zu regnen an, ganz leicht und sanft, und er machte mich müde, dieser Regen, und ich wollte mich hinlegen, aber ich konnte mich nicht hinlegen, denn ich war viel zu fasziniert von den Dingen, die ich durch Agathe sah, und Agathe lächelte und ging unter die dunklen Bäume und für einen Moment sah ich sie nicht mehr und hatte plötzlich Angst, sie und die Welt die ich durch sie sah nie mehr wieder zu sehen und ich lief ihr nach und da sah ich sie am Stamm eines Baumes und sagte: Agathe, ich…, und sie sah mich an und ich sagte nichts mehr. Ich hörte ein Lied:

Vielleicht sang ich es selber, vielleicht sang es die ganze Welt. Es waren keine deutschen Worte, vielleicht französische, jedenfalls kamen die Worte wie von selbst, und ich ließ mich mit Agathe fallen in die Dinge wie sie sind.

 

Laubatio

eine Baumbegegnung im Herbst

Bäume, besonders die laubtragenden unter ihnen, sind sehr empfindsame Wesen. Sie registrieren, wenn Menschen freundlich zu ihnen sind. Da sie jedoch nicht sprechen können, gibt es von ihnen kein Lob, sondern Laub.

Im Herbst, wenn sie Bilanz ziehen über all die freundlichen Menschen, die an ihnen im Lauf des Jahres vorbeigezogen sind, halten sie, mangels Sprechvermögen, keine Laudatio, sondern eine Laubatio.

Ich kam in diesen Tagen zu dieser Ehre, als ich unter einer sich gelb färbenden Buche stand. Im leichten Wind ließ sie ein paar Blätter auf mich fallen, und ich sagte zu mir: Schön, dass ich das erleben darf, korrigierte mich aber sofort und sagte: Schön, dass ich das erlauben darf!

Buche bei der Laubatio

 

Im Buchenwald

Im Buchenwald
dachte ich
an Buchenwald:
Der Großvater,
der Schuss der hallt.

Ich musst es tun,
sagt er,
sonst wäre ich
selbst gestorben,
und wusste nicht,
dass ich
durch den Schuss
selbst
gestorben bin.

Abgründe tun sich auf,
Verzweiflung, bittre Not.
Die Buchen stehen da,
schaun gütig auf die Welt,
sie suchen keine Schuld,
sie fürchten nicht den Tod.

Pasolini und der frühe Tod

Ich bin in den Siebzigerjahren geboren, sagt Vorderbrandner, in jenem Jahrzehnt, in dem die Menschheit ihre Freiheit entdeckte, von der sie heute weitgehend wieder abgerückt ist.

Gelebt aber habe ich davor schon, sagt Vorderbrandner, und ich weiß, dass ich mittendrin war in diesem Aufbruch in die Freiheit. Ich war in Italien und sah den Film Teorema – Geometrie der Liebe, den Pasolini gerade herausgebracht hatte:

Nach dem Kino traf ich mich mit Pasolini und sagte zu ihm: „Pier Paolo, was für ein wunderbarer Film, den du da gemacht hast! Ein Film wie ein Gemälde! Mit einer Symbolik, die keiner Worte bedarf! Außerdem trifft er das Bürgertum ins Mark, zeigt ihm seine Befangen- und Gefangenheit!“
„Ich hasse das Bürgertum!“ sagte Pasolini, nein, er schrie es mehr: „Ich hätte diesen Film nicht machen sollen! So viel Aufmerksamkeit für solche Idioten!“
„Er trifft die Kirche ins Mark“, meinte ich weiter, „indem du einen modernen Jesus schickst, der den Leuten ihre Freiheit zeigt!“
„Ich hasse die Kirche und ihre verlogene Moral! Nein, ich hätte diesen Film nicht machen sollen!“ entgegnete Pasolini mit starrem Blick. Ich sah so etwas wie Traurigkeit in seinem Gesicht und hatte den Eindruck, als wolle er nur weg, weg, weg. Aber wohin?

Ich sprach weiter und sagte: „Eines verwirrt mich: Warum ist dein moderner Jesus ein Mann? Hätte er nicht genauso gut eine Frau sein können? Außerdem werden die durch ihn befreiten Frauen ziemlich verrückt, während sich die befreiten Männer der Kunst und der Spiritualität zuwenden. Gestehst du den Frauen diese Freiheit nicht zu?“

Pasolini rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her. Dann wurde er ruhig, so als hätte er sich gesammelt, und sagte mit nachdenklichem Blick: „Nur die Männer können die Erlöser sein. Die Frauen sind Gefangene. Gefangene dieser Gesellschaft.“

Ich erwiderte nichts. Ich sprang auf und rannte davon, so schnell ich konnte. Während des Rennens wurden meine Gedanken klar, und ich erkannte, was der Unterschied zwischen mir und Pasolini ist: Er sieht die Männer als Erlöser, ich die Frauen. Hätte ich damals nur gewusst, dass man nur sein eigener Erlöser sein kann! Ich rannte und rannte, bis ich schließlich an einen Strand gelangte. Dort sah ich über das Meer in die untergehende Sonne. Das Gespräch mit Pasolini hatte mich derart aufgewühlt, dass ich nicht mehr wusste wohin mit mir. Da kamen ein paar Leute und erlösten mich. Sie hatten Stoff dabei. In meiner Überdrehtheit und Euphorie nahm ich viel zu viel davon, und so endete mein Weg in die Freiheit frühzeitig.

Jahre später, sagt Vorderbrandner, wurde ich neu geboren, mit all der Verwirrtheit, die mir mein altes Leben hinterlassen hat.

Was mach ich bloß an dieser Stelle?

Wir stecken fest. Beide, glaube ich. Zumindest bei mir bin ich mir sicher. Wir reden Worte, die nichts bedeuten. Wir bemühen uns, durch Gerede voranzukommen, kommen aber nicht vom Fleck. Wie denn auch? Alles was da ist, sind Gefühle, und Gefühle in Worte zu kleiden hat noch nie funktioniert. Sonst wären sie ja Gedanken. Die Gefühle stecken in unseren Körpern fest. Unsere Körper, die uns vielleicht helfen könnten, sind eingefroren. Unfähig, ihre Gefühle auszudrücken, sich zu bewegen, sich aufeinander zuzubewegen.

Ich träume davon, wie unsere Gefühle losgelassen werden und unsere Körper sich umschlingen, wie wir nacheinander greifen, um uns selbst zu begreifen. Wie alles fließt und unsere Tränen der Erleichterung fließen, weil alle Gefühle losgelassen sind, die uns bisher gefangen genommen haben. Ich bin die Angst, die Angst vor mir, wenn du dich fürchtest, bin ich bei dir, sage ich zu dir im intensivsten Augenblick unseres Umschlungenseins, und ich weiß, dass ich damit Blumfeld zitiere, doch nie war ein Zitat so wahrhaftig wie dieses. Spürst du, dass ich bei dir sein will? Nein, ich will mich nicht vor meiner Angst verkriechen, wie ich das schon so oft getan habe, nein, ich will durch sie hindurchgehen und mich dir zeigen, ohne Angst zu haben, dass du erschrickst und davonläufst. Denn davor habe ich die größte Angst: dass du davonläufst, du, durch die ich endlich zu mir komme. Ich bin nicht die Angst, nein, ich bin der, den ich durch dich erkenne.

Was mach ich bloß an dieser Stelle, an der wir uns so nahe sind? Wo ich mich kreuz und quer zerstreue, und längst noch nicht zu mir gekommen bin?

Konrad Vert und Elisabeth Rauen

eine Geschichte über Kontrolle und Vertrauen

Konrad Vert war früher ein sehr angenehmer Zeitgenosse. Ihn zu sehen war mir jedesmal eine große Freude. Doch seit er Elisabeth Rauen kennengelernt hat, hat sich das grundlegend geändert.

Konrad kam damals zu mir, völlig euphorisiert, und sagte: Stell dir vor: Ich habe eine Frau namens Rauen kennengelernt! Das ist meine große Chance! Durch sie kann ich mein großes Lebensthema, das Vertrauen, in meinen Namen integrieren: Vert-Rauen. Ich muss sie heiraten!

Konrad hofierte und umwöhnte in der Folgezeit Elisabeth – so heißt die damals so heftig Umworbene mit Vornamen – wie die Prinzessin auf der Erbse. Der Diener und seine Herrin. Schließlich schaffte es Konrad, dass Elisabeth einwilligte zu heiraten, und aus Konrad Vert und Elisabeth Rauen wurden Konrad und Elisabeth Vert-Rauen. Konrad wollte noch durchsetzen, dass der Doppelname ohne Bindestrich geschrieben wird, also Vertrauen, kam damit aber bei den Behörden nicht durch. Das hinderte ihn nicht daran, seine Vertrauen-Praxis zu eröffnen für alle, die auf der Suche nach dem Vertrauen in ihr Leben sind.

Der größte Fehler ist doch, dozierte Konrad bei jeder Gelegenheit, dass wir über alles Kontrolle haben wollen. Dabei braucht es Vertrauen statt Kontrolle. Kommt zu mir und ich zeige euch, wie das Vertrauen in euer Leben kommt!

Aber die Leute wollten sich nicht so recht einlassen auf seine Vertrauen-Workshops, und so schimpfte Konrad immer mehr auf die kontrollwütigen Individuen unserer Gesellschaft, die unfähig seien, Vertrauen in sich aufzubauen, die diese Unfähigkeit an sich nicht erkennen würden und deshalb nicht einmal fähig seien, zu ihm zu kommen, der ihnen zeigen würde, was Vertrauen heißt.

Schließlich wurde das Geld knapp, und ein Freund von Elisabeth lieh ihnen Geld. Konrad bezichtigte daraufhin Elisabeth, eine Affäre mit diesem Freund zu haben, mit diesem neureichen Scheusal, wie er sagte, der mit seinem Geld Kontrolle ausüben will. Eines Abends, Konrad war völlig verzweifelt und hatte einigen Alkohol getrunken, sagte er mir, er werde nun einen Detektiv engagieren, um Elisabeth und dieses kontrollierende Geldschwein beobachten zu lassen. Er werde ein für allemal aufdecken, dass dieses Schwein Elisabeths Untergang bedeutet und dass solche Schweine im Allgemeinen den Untergang dieser Welt bedeuten.

Ich fuhr ihm ins Wort und sagte: Konrad! Was du da treibst, ist totaler Mist. Du schürst nichts als Mißtrauen. Konrad Mist-Rauen. Du bist für mich Konrad Kont auf der Suche nach Rosina Rolle, zur Erlangung der totalen Kontrolle!

Da wurde Konrad fuchsteufelswild und fuchtelte mit den Armen. Dann sackte er in sich zusammen und sagte mit starrem Blick: So ist es eben – wenn jemand nicht vertrauen kann, braucht es Kontrolle. Ich wollte es nicht. Ich wollte die Welt in ihr Vertrauen bringen. Aber die Welt braucht eben Kontrolle, Kontrolle, Kontrolle, nichts als Kontrolle!

Der Kommunikationsberater

Der Kommunikationsberater öffnete die Fahrertür seines Porsche, drehte sich noch einmal zu uns um und sagte: „Es gilt jetzt, alle mitzunehmen!“

Ich ging daraufhin zur Beifahrertür, öffnete sie und setzte mich in den Wagen.
„Das wird schwierig!“ sagte ich, mich im Wageninneren umsehend.

„Was wird schwierig?“ fragte der Kommunikationsberater irritiert.

„Mit diesem kleinen Auto alle mitzunehmen. Nicht mal die, die jetzt noch dastehen, können Sie damit mitnehmen. Geschweige denn das ganze Team. Dabei haben sie gerade gesagt: Es gilt jetzt, alle mitzunehmen!

„Das war doch auf das Projekt bezogen! Steigen Sie sofort aus meinem Wagen aus, ich hab’s eilig!“

Ich stieg aus, lehnte mich an den Porsche und sagte: „Es wäre ein gutes Zeichen für das Projekt gewesen, wenn Sie mit einem Bus gekommen wären und jetzt alle mitnehmen würden. Stattdessen stellen Sie sich an Ihr Egomanen-Fahrzeug und meinen überhaupt nicht, was Sie sagen.“

„Was fällt Ihnen…“

„Was Sie mit Ihrem Verhalten sagen ist: In unserem auf Egozentrismus aufgebauten Wirtschaftssystem hat man den Sinn für das Gemeinsame verloren. Kommunikation findet nicht statt. Ich habe das erkannt und verdiene mit diesem Mangel mein Geld, den zu beseitigen mir überhaupt kein Bedürfnis ist. Im Gegenteil: Dann würde ich ja kein Geld mehr verdienen.

„Ach lassen Sie mich doch in Frieden! Ich habe Ihre schlauen Reden nicht nötig!“
Der Kommunikationsberater schlug die Tür seines Porsche zu und brauste davon.

Axel Witsel – eine Kritik am deutschen Alphabet

Ich stehe auf einer riesigen Tribüne. Die Tribüne ist mit drei anderen Tribünen verbunden. Die Tribünen stehen im Neunzig-Grad-Winkel zueinander und umschließen ein Fußballfeld. Alle Tribünen sind voll mit Menschen, mit insgesamt etwa achtzigtausend Menschen, wie ich mir sagen ließ. Eine Zahl, die ich gar nicht fassen kann. Sehr sehr viele Menschen auf engem Raum. Gleich wird ein Fußballspiel beginnen. Die achtzigtausend Menschen auf den Tribünen werden zweiundzwanzig Menschen auf dem Rasen beim Fußballspielen zusehen. Ich blicke auf die vielen Menschen um mich. Bei diesem Anblick weiß ich, warum ich als Junge Fußballprofi werden wollte: Achtzigtausend Menschen, die einem beim Spielen zusehen. So viel Aufmerksamkeit hat man sonst nie im Leben!

Der Stadionsprecher brüllt die Namen der Spieler in sein Mikrofon, aber im ohrenbetäubenden Lärm um mich verstehe ich nichts. Ich schaue auf einen der großen Bildschirme und lese den Namen des Spielers mit der Rückennummer 28: Axel Witsel. Ein Name, der mich beeindruckt. Ein Name wie eine eindringliche Forderung. Nämlich das deutsche Alphabet um zwei überflüssige Buchstaben zu kürzen: um das X und um das Z. Das X kann durch KS ersetzt werden, das Z durch TS. Axel Witsel betont auf geniale Weise diese Forderung: In der Schreibung des Vornamens Axel mit X der Hinweis auf den aktuellen Missstand, in der Schreibung des Nachnames Witsel der Protest dagegen durch die Ersetzung des Z durch TS. Wer Axel schreibt, muss auch Wizel schreiben, sagt der kühle Verstand. Wer sich Witsel schreibt, sollte sich auch Aksel schreiben, sage ich.

Die Spieler betreten das Feld. Axel Wizel trägt eine Afro-Frisur. Dunkler Teint. Blaue Augen, die sehr auffallen durch seine sonst dunkle Erscheinung. Das Spiel beginnt. Aksel Witsel bewegt sich grazil und demütig wie eine Gazelle und robust und bestimmend wie ein Löwe, ohne sich dabei zu widersprechen. Wie mich sein Name beeindruckt, so beeindruckt mich sein Spiel. Ich beneide ihn, mit welcher Eleganz und Souveränität er sich auf dem Rasen bewegt und wie ihm dabei achtzigtausend Menschen zuschauen. Axel Witsel – die leibhaftige Kritik am deutschen Alphabet!

Axel Witsel