Archiv der Kategorie: Weises

Ich weiß, dass ich nicht weiß. Ist das schon weis?

Die Welt ist femininer geworden

Uteto Fritz, einst als Sprachenergetiker tätig und nun als ein der Sprache Abgewandter lebend, sagt: Die Welt ist femininer geworden, denn heutzutage labern Männer mindestens genau so viel wie das traditionellerweise Frauen tun.

Das Weibliche strebt tendenziell nach Fülle, während das Männliche tendenziell nach Leere strebt. Durch die Überbetonung des Verbalen in unserer Kultur suchen wir im vielen Labern nach Fülle. Männer, die viel labern, sind also feminine Männer, die im Labern nach Fülle suchen, referierte Uteto Fritz, ungewohnt gesprächig.

Ich habe mit Miriam viel gelabert, sagt Uteto Fritz, weil ich unsere Beziehung damit füllen wollte. Ich traute mich nicht mehr in die Leere, obwohl es mich zur Leere hinzog. Ich hatte Angst, durch die Leere Miriam zu verlieren. Ich glaubte, durch das Labern die Liebe wecken zu können. Doch nach dem Labern hatte ich das Gefühl, dass ich einen Haufen Unsinn von mir gegeben hatte und überhaupt nicht bei mir selbst geblieben war. Ich warf mir jedesmal vor, dass ich Miriam bei meinem Gelaber kaum in die Augen geschaut habe. Dabei sagen Augen viel mehr als Münder.

Ich besann mich meiner Männlichkeit und ging tief in den Wald, um die Leere zu suchen. Die Schritte fielen mir anfangs schwer, denn jeder Schritt tiefer in den Wald kam mir vor wie ein Schritt weg von Miriam. Miriam ist sicher in der Stadt und vergnügt sich in der Fülle, dachte ich mir, während ich in der Leere herumirre. Ich ging auf verschlungenen Pfaden die Anhöhe hoch, von wo ich auf den See blickte, dessen Wasser in der Sonne glänzte. Tief entleert fuhr ich in die Stadt zurück, beseelt vom Gedanken, wieder nahe bei Miriam zu sein. Doch der Abend war ein leerer, als wäre ich im Wald geblieben.

Am nächsten Tag trafen wir uns, und Miriam erzählte aufgeregt, dass sie gestern am See gewesen war, am See, dessen Ufer von hügeligen Wäldern umrahmt sind und dessen Oberfläche in der Sonne glänzte. Ihre Augen glänzten, während sie das sagte. Ich wollte meinen Mund halten, konnte es aber nicht und fragte:
An welchem See warst du? Am Zeller See?
Ja, so heißt er: Zeller See. Genau. Woher weißt du das?
Ich war auch dort. Ich war auf der Anhöhe über den hügeligen Wäldern und sah auf das Wasser, das in der Sonne glänzte.
Miriam öffnete leicht ihren Mund, als wollte sie etwas sagen, aber sie konnte ihn halten. Wir sahen uns in die Augen, und ich glaube, wir haben uns noch nie so viel gesagt wie in diesem Moment. Ich dachte daran, dass ich oben auf der Anhöhe glaubte, weit weg zu sein von Miriam. Dabei war sie ganz nahe unten am See gewesen. Ich spürte Tränen in meinen Augen.

Unsere Augenblicke verlangten nach Nähe. Doch dann sagte Miriam etwas Belangloses, dass ich schon wieder vergessen habe. Ich merkte, wie wir in leeres Gelaber verfielen. War uns die Nähe der Augenblicke zu tief, sodass wir ins Seichte flüchten mussten? Ich ging und wollte zurück in den Wald, obwohl jeder Schritt schwer fiel nach der Fülle, die ich gerade erlebt hatte.

Abends vor dem Schlafengehen

Manchmal, abends vor dem Schlafengehen, wenn die Sehnsucht nach dir unerträglich scheint, traue ich mich nicht, die Augen zu schließen, aus Angst, dich dadurch zu verlieren.

Ich öffne das Fenster und sehe hinauf zu den fernen Sternen. Dann spüre ich, dass wir uns nahe sind.

Ein sanftes Lied wiegt mein Herz in den Schlaf, weil es bei dir ist.

 

Ein Hund namens Doki

Ich mag Hunde mehr als Menschen, weil Hunde ein Gespür für sich selbst haben und Menschen ihr Gespür für sich selbst wegquatschen.

Ich bin im Stadtwald und gehe den Pfad entlang. Ich höre quatschende Menschen auf mich zukommen. Als sie sichtbar werden, erkenne ich zwei Frauen, die miteinander quatschen, und einen Mann, der mit seinem Handy quatscht. Flankiert werden sie von zwei Hunden. Kurz bevor wir aufeinandertreffen, ruft eine der Frauen mit hoher Stimme: Dooooki!
Nach ein paar Sekunden ruft der Mann, ohne von seinem Handy aufzusehen: Dooki!
Kurz darauf wiederholt sich das Schauspiel. Die Frau ruft Dooooki! und der Mann ein paar Sekunden später Dooki! (Ohne von seinem Handy aufzusehen)
Ich begreife: Doki ist der dritte Hund im Bund. Doch Doki kommt nicht.

Wir gehen aneinander vorbei, ohne dass ich von meinen Mitmenschen beachtet werde. Bemerken sie mich überhaupt? Sie rufen weiter Dooooki! und Dooki! Ich drehe mich um und sehe wie die Frau zwischen ihren Rufen mit der anderen Frau weiterquatscht und der Mann mit seinem Handy. Doch Doki kommt nicht. Ich verstehe Doki, dass er nicht kommt. Die Rufe gehen nicht an ihn. Sie gehen unter im Gequatsche. Sie sagen zu Doki: Komm doch her, damit wir in Ruhe weiterquatschen können und uns nicht mit dir beschäftigen müssen.

Doch Doki kommt nicht. Ihn nervt das Gequatsche genauso wie mich. Es hält ihn nur davon ab, seinem Gespür nachzugehen. Ich spüre Doki, wie er riechend die Welt erforscht, und ich liebe ihn dafür, dass er seinem Gespür nachgeht und nicht dem Gequatsche.

Apropos Gequatsche: Ich halte es nicht mehr aus. Es zerstört die Ruhe, die über dem schneebedeckten Winternachmittag liegt. Ohne weiter zu überlegen, meinem Gespür nachgehend, schreie ich mit lautem, strengem, bestimmtem Ton: DOKI!
Die quatschende Menschenbande verstummt, und für einen Moment habe ich Sorge, dass sie mich gleich als einen Irren beschimpft. Da biegt ein Hund in vollem Lauf aus dem Gebüsch.
Die Frau sagt: Komisch. Jetzt kommt er.

Druck (Auszug aus der Enzyklopädie über die tiefenpsychologische Bedeutung von Popsongs: Traumatischer Stress)

Ich spüre den Druck in mir, der sich über die Jahre meines (traumatischen) Lebens aufgebaut hat. Ich bin bereit loszuschlagen. Doch ich schlage nicht los. Ich gehe einen Schritt zurück und spüre ihn noch mehr, den Druck in mir. Ich spüre ein starkes Verlangen, nicht loszuschlagen. Das überrascht mich, das ist neu. Ich will den Druck für mich behalten, meinen Druck selbst aushalten. Es ist befreiend, ihn zu spüren, obwohl er kaum auszuhalten ist. So unter Druck stehe ich also. Ich bin ein Kind des Krieges.

Ich bin stärker als dieser Druck, sagen mir meine (befreienden) Tränen. Ich bin fest entschlossen, ihm standzuhalten und ihn hinter mir zu lassen. Ich will liebend leben. Währenddessen beginnen sie um mich, aufeinander loszuschlagen.

Unbetäubt (Noch nie waren wir uns so nah)

Ich betäube mich mit Worten. Mit dem Wort betäuben. Betäuben kommt von täuben. Täuben kommt von taub. Taub kommt von weit her, vom althochdeutschen toub: unempfindlich, stumpf, unsinnig. Im Mittelhochdeutschen hieß es dann döf, woraus englisch deaf und neuhochdeutsch doof hervorging. Doof ist also das ursprüngliche, über das gehörlose hinausgehende taub.

Zurück zum heute gebräuchlichen Verb betäuben, mit dem ich mich betäube. Ich stoße auf umfangreiche Lektüre. Klassisches Betäuben heißt unterdrücken, oft gewaltsam. Das zeigen die Jahrhunderte, die seit dem Althochdeutschen vergangen sind. Moderneres Betäuben heißt ablenken: mit Arbeit, mit ausschweifenden Vergnügungen, mit digitalem Gedaddel, mit Lektüre.

Ich lege die Lektüre, mein Betäubungsmittel, ab, um mich selbst abzulegen. Ich fühle mich schwach und verletzlich, gleichzeitig stark und mächtig. Keine betäubenden Gedanken mehr. Gibt es das Gegenteil von betäubt, von taub, von doof? So fühle ich mich: ruhend, gleichzeitig wach und klar.

Du liegst neben mir, und ich spüre, wie du dich fühlst: schwach und verletzlich, gleichzeitig stark und mächtig. Liegend ruhen wir. Wir lenken uns nicht ab mit ausschweifenden körperlichen Vergnügungen. Wir sind unbetäubt. Unser Atem hält uns wach und klar. Noch nie waren wir uns so nah.

Ich bin tief unten

Ich bin tief unten. Das kann ich jetzt sagen, weil ich zwischenzeitlich weit oben war. Lange war ich nur tief unten. Es gab kein Unten und kein Oben. Unten war normal. Unten schob ich ein schweres Bassin, das randvoll mit Wasser gefüllt war. Alle anderen, zumindest die, die ich kannte, schoben auch ein Bassin. Jeder hatte sein Bassin, das randvoll mit Wasser gefüllt war. Wir mussten aufpassen, nicht mit den schweren, wassergefüllten Bassins aneinanderzustoßen oder zwischen ihnen zerquetscht zu werden. Solche Zerquetschungen kamen oft vor, die nicht selten tödlich endeten.

Als ich Zeuge einer solchen tödliche Zerquetschung wurde, verweigerte ich, mein wassergefüllte Bassin weiter herumzuschieben, woraufhin große Aufregung herrschte. Das sei doch nicht normal, war die einhellige Meinung, dass einer sein wassergefülltes Bassin nicht mehr herumschieben will. Das machen doch alle. Meine Eltern, für die das Herumschieben des wassergefüllten Bassins eine furchtbare Plackerei war, die es aber trotzdem widerstandslos taten, machten sich große Sorgen um mich, und sie sorgten dafür, dass ich in psychiatrische Behandlung komme, um meine Verweigerung, mein wassergefülltes Bassin herumzuschieben, aufzugeben.

In die Psychiatrie musste und durfte ich mein wasserbefülltes Bassin nicht mitnehmen. Das schoben derweil meine Eltern zusätzlich hin und her, um es mir nach meiner Rückkehr wieder zu übergeben. Denn es war wichtig, scheinbar überlebenswichtig, sein Bassin nicht zu verlieren. Ohne Bassin war man nichts. Tatsächlich fehlte mir mein Bassin in der Psychiatrie. Ich saß buchstäblich auf dem Trockenen. Nach längerem Nachdenken bemerkte ich, dass mir nicht das Bassin mit seinen harten Wänden, sondern das Wasser darin fehlte. Mir fehlte das Wasser so sehr, dass ich mich nachts aus der Psychiatrie zu meinem Bassin schlich. Ich wollte unbedingt ins Wasser, obwohl ich nicht schwimmen konnte. Ich versuchte, die Außenwand des Bassins hochzuklettern, rutschte aber immer wieder ab. Plötzlich aber zog es mich nach oben, und von oben plumpste ich ins Wasser. Die Wände des Bassins waren verschwunden. Ich konnte nicht sagen, wo oben und unten ist. Es war auch nicht wichtig. Ich sah nur mehr Wasser um mich. Ich patschte unbeholfen im Wasser herum. Ich war nicht gewohnt, mich im Wasser zu bewegen, ich war nur gewohnt, es im Bassin herumzuschieben. Ich hatte Panik unterzugehen und zu ertrinken, doch dann bemerkte ich zu meiner Überraschung, dass ich getragen wurde.

Ehe ich das Getragenwerden genießen kann, finde ich mich wieder in der Psychiatrie. Mir wird gesagt: Das Untensein ist der Normalzustand. Schlag dir das Oben aus dem Kopf. Oben gibt es nicht.