Alle Beiträge von EmilHinterstoisser

Andre Ananas – eine Kindergeschichte

Diese Geschichte kann ich im Grunde gar nicht erzählen, sagt Uteto Fritz, denn ich habe aufgehört, mich mit der heilenden Wirkung von Sprache zu beschäftigen und bin deshalb auch nicht mehr als Sprachenergetiker tätig, als ich mich plötzlich mit Andre, Andreas und Anna in einem Raum befand, einem Raum, der wie ein Therapiezimmer wirkte, Familientherapie, sagte Andreas, wir brauchen Familientherapie, so wie wir früher Paartherapie brauchten, sagte Andreas, und blickte Anna an, so brauchen wir jetzt Familientherapie, und blickte Andre an.

Andre blickte neugierig im Zimmer herum, gut, dachte ich, sagt Uteto Fritz, er hat die Neugier eines Kindes noch nicht verloren, die geht ja oft verloren in der Obhut der Eltern, vor allem, wenn sich die Neugier auf das Leben der Eltern erstreckt, denn Eltern – das haben sie von ihren Eltern gelernt – halten ihr Leben gern versteckt, schließlich holte Andre einen Block heraus, einen Schreibblock, und Andreas kommentierte dieses Schreibblockherausholen sofort, er sagte: Ja, Andre schreibt schon, sehr viel, obwohl er erst in die dritte Klasse geht, in die dritte Klasse geht er und schreibt schon so viel, und er ist ein aufgewecktes Kind, wissen Sie, Anna und ich, wir sind stolz auf ihn, dennoch machen wir uns Sorgen, denn Andre isst für sein Leben gern Ananas, aber jetzt isst er nicht einmal mehr Ananas, im Gegenteil, ich reiche ihm eine Ananas und er wirft sie Anna ins Gesicht, mitten ins Gesicht, das geht doch nicht, was sollen wir denn da machen, das Leben ist die beste Therapie, ja, aber doch nicht so ein Leben mit so einem Kind, Familientherapie – Sie sind doch Familientherapeut? – Familientherapie ist unsere letzte Hoffnung, ich meine, das Kind weggeben, wir wollen nicht daran denken, aber es geht doch nicht, dass Anna und ich an diesem Kind zu Grunde gehen, wo wir so viele Jahre mittels Paartherapie an unserer Beziehung gearbeitet haben, Paartherapie, das hat uns geholfen, das hat uns auch das gewünschte Kind gebracht, wir konnten doch nicht ahnen, dass das Kind unser mühsam erarbeitetes Gleichgewicht so durcheinander bringen würde, wir –

Plötzlich stieß Andre einen lauten Schrei aus und richtete seinen Stift wie einen Pfeil gegen Andreas.

Sehen Sie! sagte Andreas, was sollen wir nur tun? Wir sind mit unseren Nerven am Ende!

Ich wandte mich Andre zu, sagt Uteto Fritz, und sagte: Du schreibst doch sehr gerne, Andre – schreib was über dich! Andre lächelte und schrieb, langsam und bedächtig, in seinen Schreibblock:

Beute und Beate 3: Hansis Brief

Fortsetzung von Teil 2

Wir saßen wie hingemalt im Gras, Ute und ich. Das Leben aber ging weiter. In diesem Weiter bestrahlte die tiefer werdende Sonne die grünen Baumkronen, auf denen die Vögel begannen, ihre Abendlieder anzustimmen. Ute schob mir langsam einen zusammengefalteten Zettel in die Hand. Ich faltete ihn auseinander und begann zu lesen:

Meine liebste Beute,

ich weiß nicht, wie ich es nennen soll, vielleicht Bezogenheit auf dich, es ist auch nicht wichtig, jedenfalls fühle ich mich dir immer noch sehr verbunden, dir, die du in Unliebe zu dir selbst so oft mit dir unverbunden bist. Ich kenne das von mir, habe mich von Unliebe immer wieder anstecken lassen und mich dann selbst nicht geliebt. Vielleicht ist Unliebe die ansteckendste Krankheit dieser Welt, dabei wollen wir die Liebe, alle von uns, aber gleichzeitig haben wir Angst vor ihr, denn die Liebe ist groß und mächtig.

Ich bin fest entschlossen, die Liebe zu leben, durch alle Widerstände hindurch, und deshalb sage ich dir jetzt, dass ich dich nicht mehr sehen will, nicht weil ich dich nicht liebe, sondern weil ich dich liebe und weil ich spüre, dass wir uns in Unliebe verstricken und die Liebe nicht mehr sehen.

Heute Morgen fühle ich mich frei, ich spüre die Liebe. Ich kann über die Wut und Trauer, die ich dir gegenüber auch spüre, hinwegsehen und sagen: Ich wünsche dir und mir und der Welt die Freiheit für die Liebe, ich wünsche mir Begegnungen ohne Mauern, bei denen sich Herzen treffen und miteinander singen.

Fühl dich geliebt, von mir und der ganzen Welt!

                                Hansi

Ich legte den Zettel wieder in Utes Hand. Wortlos blickten wir über die Baumkronen zum blauen Himmel hoch. Lauschten den Abendliedern der Vögel. Die Sonne grüßte tief von Westen. Wir standen auf. Schritten durch grüne Auen. Langsam und bedächtig. Schweigend. Wir erreichten die Stadt. Selbst die harten Straßen lagen mild im sanften Dämmerlicht. Aus einem Fenster klang ein Klavier. Ich blieb unter dem Fenster stehen und sagte zu Ute: Das ist Hansi! Ute fiel mir in die Arme und drückte sich an mich, dass ich ihren Herzschlag spüren konnte.

Beute und Beate 2: Beates Unfall

Fortsetzung von Teil 1

Als Halbwaise, ohne Mutter und mit dem Vater im Gefängnis, zog ich zu Beate, die ein kleines Zimmer frei hatte.

Es war aufregend, bei Beate zu wohnen. Sie hatte viele Freier. Es ging laut und energisch zur Sache, das hörte ich durch die Wände. Ich lag während dieser Liebesorgien auf meinem Bett, fingerte an mir herum und fantasierte von Gruppensex mit Beate und ihren Freiern.

Eines Tages, mitten in diese Liebesidylle, kam ein Brief von Hansi, ganz klassisch, auf Papier mit der Post. Ich saß auf dem Küchentisch, öffnete ihn und begann zu lesen: Meine liebste Beute... Das reichte mir schon. Ich erwartete nichts als Schwachsinn, dummes Gesülze von Liebe und so. Ich legte den Brief weg, ging in mein Zimmer und ließ mich auf mein Bett fallen. Außer mir war niemand zuhause, dachte ich, doch dann hörte ich jemanden in der Küche herumkramen. Es war nicht Beate, es waren nicht ihre Geräusche. Wer war das? Dann klopfte es an meiner Tür. Es war einer von Beates Freiern, ich kannte ihn vom Sehen. Er hielt Hansis Brief in der Hand und sagte: Ich heiß zwar nicht Hansi, meine Liebste, aber willst du meine Beute sein?

Mich erregte, wie er das sagte. Ich war wie gebannt, es lief mir heiß über den Rücken. Ich zog mich aus und ließ mich von ihm ans Bett fesseln. Als ich nackt und gefesselt vor ihm lag, sagte er: Ich komm gleich wieder, muss nur kurz telefonieren. Das erregte mich nur noch mehr. Als er zurückkam, ließ er seine Hose runter und rammte ihn in mich rein. Trotz meiner Erregtheit war mir das zu viel, zu heftig, aber ich dachte: So ist eben Sex mit einem Mann – hart und unerbittlich. Mitten in sein heftiges Rammeln klingelte es an der Wohnungstür, er zog ihn raus, grinste mich mit einem breiten Macholächeln an, ging zur Tür und öffnete. Ich hörte Lärm im Treppenhaus. Mir wurde unheimlich, ich bekam Angst. Plötzlich standen unzählige Typen in meinem Zimmer, sie ließen ihre Hosen runter, sie schwangen ihre Schwänze vor mir, einer packte mich und steckte ihn in meine Muschi, ein anderer steckte ihn mir in den Mund, es würgte mich, sie lachten, ich fühlte mich eklig und schmutzig, aber sie hörten nicht auf, sie bespukten und schlugen mich, sie zogen mich an den Haaren, sie steckten die Schwänze ohne Vorbereitung in mein Arschloch und es tat so weh, ich war mir sicher, gleich zu sterben, da kam plötzlich Beate ins Zimmer und schrie:

AUFHÖREN!!!

Ein Schrei, der das Treiben zum Stillstand brachte. Sie ging auf den Typen los, der mit Hansis Brief ins Zimmer gekommen war, woraufhin er sie heftig ohrfeigte. Sie war wohl kurz bewusstlos und schlug ungebremst mit dem Kopf auf dem Boden auf. Schwere Gehirnschädigung, sagen die Ärzte. Seitdem ist sie ein Spasti und lallt nur mehr statt zu sprechen.

Ute und ich saßen wie hingemalt im Gras. Die Vögel zwitscherten ihre Frühlingslieder.

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Beute und Beate 1: Schreie und Stille

Ute saß im Gras. Ich ging zu ihr. Ich dachte: Heute ist der Tag, an dem wir uns näherkommen werden. Sie saß so hingemalt im Gras, dass ich dachte: Heilige Ute, sei meine Stute!

Als ich näherkam, bemerkte ich: Ute weinte. Ich blieb stehen. Ute sah zu mir hoch und lächelte kurz. Ich setzte mich neben sie ins Gras.
Es ist wegen meiner Schwester, sagte Ute. Wegen meiner älteren Schwester Beate. Ich komme gerade von ihr.
Was ist mit ihr?
Sie ist schwerbehindert.
Oh.

Ich war plötzlich unsicher, ob ich bei Ute im Gras bleiben will, doch unvermittelt, ohne mich zu fragen, ohne ersichtlichen Grund, fing sie zu erzählen an:

Unsere Mutter sagte oft zu Beate: Dir wird mal was Schreckliches passieren, du ungezogenes Mädchen! und Beate schimpfte daraufhin mit ihr: Mama, dir wird mal was Schreckliches passieren! Weil du es so willst! Hör auf mit diesem Gejammere! Mit deiner scheiß Angst vor allem und jedem!

Meine Mutter gelobte Besserung, trotzdem zog Beate bald aus. Sie hatte genug von diesem Scheiß. Sie suchte sich eine eigene Wohnung. Ich fühlte mich im Stich gelassen. Wahrscheinlich habe ich mich deshalb auf Hansi eingelassen. Hansi ist ein Lieber und Netter. Hansi glaubte zum Beispiel, dass meine Schwester wirklich Ate heißt, so wie ich sie rufe, und ich sagte: Nein Hansi, sie heißt nicht Ate, sondern Be-Ate, ein schöner Name, nicht so ein Wurmfortsatz wie Ute, woraufhin Hansi sagte: Wenn Ate Be-Ate heißt, dann heißt du für mich Be-Ute. Hansi glaubte, dass er mir damit seine Liebe beweist, mit diesem Wortspiel-Scheißdreck, und es war ja auch lieb gemeint, aber ich sagte nur: Das wäre schön Hansi, wenn ich deine Beute wäre!

Ich glaube nämlich, Hansi hat Angst vor Muschis, ja, ich bin mir sicher, er hat Angst vor Muschis: An einem Abend wollte ich es endlich wissen, ich war geil, legte mich nackt vor ihm aufs Bett, spreizte meine Beine, fingerte an meiner feuchten und erregten Muschi herum. Er blickte erstaunt und erschrocken, mehr erschrocken als erstaunt, und sagte: Entschuldige, aber ich kann gerade nicht.

Dann such dir eine andere, du Schlappschwanz! brüllte ich und komplementierte ihn zur Tür hinaus. Ohne Widerstand ging er. Ich lag daraufhin auf meinem Bett, als ich meinen Vater nachhause kommen hörte.

Er kam zur Tür herein, schrie meine Mutter an, ich hörte, wie er sie schlug, er schlug sie oft, dann schrie meine Mutter, sie schrie entsetzlich, es erschreckte mich, denn meine Mutter schrie nie, wenn mein Vater sie schlug, obwohl er sie so oft schlug, aber jetzt schrie sie. Und dann, plötzlich, war es still, mucksmäuschenstill. Eine unheimliche Stille, eine unerträgliche Stille, die nie zu enden schien. Ich kroch vorsichtig aus dem Bett, öffnete lautlos die Tür. Da sah ich meinen Vater vor meiner reglosen Mutter.

Ich habe sie erwürgt, sagte er. Ich hatte ihn noch nie so still gesehen.

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Rohmer geht immer

Wir hatten unsere Krise kurz vor der großen Krise, und ich sagte zu Josefine: Ich will, dass wir uns nicht mehr sehen! Dann kam die große Krise, und mit ihr der erste Tag der Ausgangsbeschränkungen. Es war der 21. März, ein regnerischer Tag, der erste Tag im Widder, der Tag, an dem Eric Rohmer hundert Jahre alt geworden wäre. Ich ging aus dem triftigen Grund, etwas Luft zu schnappen, durch die verlassenen Straßen Schwabings. Die Stille tat mir gut, auch wenn sie gespenstisch wirkte, weil sie so ungewohnt war. Ein Wagen fuhr durch die Straßen, durch die Lautsprecher kam die Durchsage: Bleiben Sie zuhause! Ich fühlte mich wie der gesuchte Hans Beckert in Fritz Langs M – eine Stadt sucht einen Mörder. Ich hatte ein beklemmendes Gefühl – Josefine nun lange, sehr lange nicht mehr zu sehen, so wie ich es wollte, aber nun wollte ich es nicht mehr. Mein Kopf war voll und leer, voller Gedanken und gedankenleer zugleich. Hat mich die Liebe verlassen? Habe ich mich selbst verlassen? Josefine hatte noch geschrieben: Jetzt weißt du endlich, was du willst, auch wenn ich es nicht will. Da wusste sie mehr als ich, denn ich wusste wieder mal nicht, was ich will. Ich will Liebe, ja, aber weiß ich deswegen, was ich will? Liebe habe ich nicht mehr gespürt. Nur ein Festhalten in Unliebe. Und jetzt, auf den verlassenen, regennassen Straßen Schwabings spürte ich sie wieder, die Liebe, ganz nah bei mir. Ich spürte die Liebe der wenigen verängstigten Leute, die mir auf den Straßen entgegenkamen und die Seite wechselten wegen mir. Ich spürte die Liebe hinter den Wänden der Häuser. Ich spürte die Liebe von Josefine. Ich spürte die Liebe überall. Ich war all-ein.

Ich ging nachhause, setzte mich vor mein kleines Heimkino und legte Meine Nacht bei Maud aus den sechs moralischen Erzählungen ein: Ein Reden und Diskutieren, so wie es für kopflastige, wissenschaftsgläubige, westliche Menschen Praxis ist. Eine bürgerliche Flucht vor dem Leben, die nichts mehr fürchtet als den Tod. Aber dazwischen – danke Eric Rohmer, ich liebe Sie! – schimmert die Liebe durch, in ihrem schönsten Glanz. Rohmer geht immer. Weil er die Liebe spürt und zeigt.

Nach dem Abspann schalte ich das Heimkino aus. Stille im Raum. Wo ist die Liebe? Wo ist Josefine? Du bist die Garantie der Schönheit dieser Welt und umgekehrt. Wenn ich dich umarme, umarme ich die ganze Welt.

Konzentration auf das Wesen

Ich durchstreifte, wie so oft, die Stadt, was – das behaupte ich – zu meinem Wesen gehört. Nichts lässt sich jedoch festhalten von meinen Streifzügen. Denn was gestern war, ist heute schon ganz anders. Ich schaute also, was heute anders war als gestern, in einer Art Momentaufnahme, nicht wissend, nur ahnend, was morgen anders sein könnte als heute. Ich bewegte mich im Kreis der Zukunft langsam fort, um irgendwann auf die Vergangenheit zu treffen. Bei diesen Bewegungen kam ich an einem Schild vorbei:

Ich war mit dem Fahrrad unterwegs. Eine Durchfahrt war nicht möglich, ohne einen Straftatbestand herbeizuführen. Ich trug keinen Rock und bin auch kein Kind, dennoch hätte ich wohl zu Fuß weitergehen können. Darauf hatte ich jedoch keine Lust. Also beschloss ich, zum Anwesen zuzufahren, was zwei Vorteile bot: Ich verhielt mich korrekt im Sinne des Schildes und ich hatte Gelegenheit, das Anwesen zu betrachten.

Am Anwesen angekommen, sah ich alte hohe Bäume, die das Grundstück umrandeten und in der Mitte die Reste eines abgerissenen Hauses. Niemand befand sich auf dem Grundstück. Ist ein Anwesen, an dem niemand anwesend ist, noch ein Anwesen? Oder ist es ein Abwesen? Es ist wohl ein Abwesen. Natürlich, es ist ein Abwesen. Herrlich, wie logisch Sprache sein kann!

Das Schild, aufgrund dessen ich mich für die Zufahrt zum Anwesen entschieden hatte, hat jedoch seinen Zweck verloren, denn es regelt die Zufahrt zu einem Anwesen, nicht aber zu einem Abwesen. Muss die Zufahrt zu einem Abwesen geregelt werden? Eine Regelung wäre sehr wahrscheinlich ratsam. Das bestehende Schild ist zu ersetzen und ein neues anzubringen mit der Aufschrift: Zufahrt zu Abwesen 1 gestattet, um die Entstehung eines rechtlichen Graubereiches zu vermeiden. Oder plant man, auf dem Grund des Abwesens ein neues Anwesen zu bauen? Man müsste dann das bestehende Schild nicht ersetzen, sondern lediglich mit einem neuen Schild ergänzen, das folgende Aufschrift tragen sollte, um der Historie und dem abwesenden Zwischenstatus des Anwesens gerecht zu werden: Hier stand einst ein Anwesen, dass durch Abriss zum Abwesen wurde. Nun entsteht ein neues Anwesen.

Andererseits: Das sind Gedankenspiele mit der Zukunft. An und Ab sind vergängliche Formen, die nur die Polarität des materiellen Daseins ausdrücken. Vielleicht sollte man sich die Arbeit mit den Schildern sparen und sich statt mit An- und Abwesen zu beschäftigen auf das Wesen konzentrieren, denn irgendwann trifft die Zukunft auf ihrer Kreisbahn durch die Zeit die Vergangenheit.

Markus und die Virologengang

eine aktuelle Einschätzung zur bayerischen Landespolitik von Valentin Vorderbrandner

Ich verstehe nicht, wieso Markus Söder als bayerischer Ministerpräsident nicht zurücktritt. Er könnte einem Virologen seinen Platz überlassen und müsste sich nicht ständig als Sprachrohr von diesem benutzen lassen. Oder streiten sich dann zuviele Virologen um das Amt des Ministerpräsidenten? Und Söder bleibt deshalb im Amt, um einen Virologen-Konflikt in schweren Zeiten wie diesen zu vermeiden? Man hat in diesen Tagen ja das Gefühl, dass es mehr Virologen als Corona-Viren gibt.

Es gibt aber auch einen zweiten Vorteil, den sein Rücktritt böte: Er müsste sich nicht ständig der Ratschläge seines Stellvertreters Hubert Aiwanger erwehren, der Söder kürzlich via Bayerischem Rundfunk vertrauensvoll Folgendes mitteilte:

Lieber Markus! Wenn wir so weitermachen, dann haben wir zwar keine Corona-Toten mehr, aber die Leute verhungern uns! Ja, oder, und da greif ich jetzt vielleicht der Kollegin Huml (bayerische Gesundheitsministerin, Anm.) vor, die Leute erschlagen sich gegenseitig oder sie bringen sich selber um.

Söder hat jedenfalls, als eine Reaktion darauf, eine unabhängige Expertengruppe CSU-naher Virologen und Verfassungsexperten einberufen, die unter Wahrung aller demokratischer Mittel seinen möglichen Rücktritt prüfen sollen. Und ich verspreche Ihnen, sagte Söder abschließend: Ich lasse nichts unversucht, um mich im Amt zu halten!

Carl-Philipps tragischer Tod

Carl-Philipp, den alle nur Gottlieb nannten, war ein sehr ängstlicher Mensch, mit preußischen Vorfahren, das sollte in diesem Zusammenhang vielleicht erwähnt werden, mit entfernten verwandtschaftlichen Beziehungen zu den von Clausewitz. Carl-Philipp also bewegte sich in Zeiten der COVID-19-Pandemie laufend im Parke fort, um sich körperlich zu ertüchtigen. Er lief nicht, er rannte, im sportlichen Gewande, um keine Zweifel an der Redlichkeit seines Tuns aufkommen zu lassen. Er kam dabei so ins Schwitzen, dass er, als er an einem Bach vorbeikam, auf die Idee kam, sich in dessen Wasser zu erfrischen.

Als er sich gerade seines Gewandes entledigte, bemerkte er eine herannahende Polizeistreife, die das Treiben im Park kontrollierte. Erschrocken über sich selbst, über seinen statischen, niedergelassenen und ihm recht unrechtmäßig erscheinenden Zustand, sprang er geistesgegenwärtig ins eiskalte Wasser des Baches, tauchte unter und hoffte, dass bis zu seinem Auftauchen die Polizei wieder verschwände. Die Polizei verschwand jedoch nicht, sondern das Herz von Carl-Philipp hörte im eiskalten Wasser auf zu schlagen. Er trieb leblos im Wasser, die Polizei barg ihn, alle Wiederbelebungsversuche waren erfolglos. Der Arzt konnte nur noch den Tod feststellen und entschied aufgrund der Umstände, den Toten in die Liste der COVID-19-Toten aufzunehmen.

Den Angehörigen Carl-Philipps wurde zu ihrem Trost mitgeteilt, dass er sich trotz seines tragischen Todes nichts habe zuschulden kommen lassen.

Zurück ins Leben

Vor ein paar Wochen war mir noch nicht klar, dass dünnes, saugfähiges, leicht auflösbares Papier, das der westliche Mensch nach dem Stuhlgang zur Gesäßreinigung verwendet, absolut überlebensnotwendig ist. Als es mir ausging, war schon Krise, und es gab keines mehr. Also nahm ich Küchentücher. Als mir auch die ausgingen, reinigte ich mein Gesäß mit Wasser, die Endreinigung nahm ich mit Baumwolltüchern vor, die ich dann zur Kochwäsche gab. Ich überlebte.

Gestern ging ich in den Drogeriemarkt. Es roch stark nach Desinfektionsmittel. Aber es gab Klopapier. Einfach so. Das Regal war gut gefüllt. Ich konnte mir eine Packung nehmen, ohne Bedenken. Vor einer Woche wollte ich die einsame Packung, die noch im Regal war, nicht kaufen – vielleicht braucht sie jemand anderer dringender. Die Not(durft) muss groß sein, so leer wie die Regale sind, dachte ich mir. Und jetzt – Klopapier für alle! Was für ein glücklicher Moment! Was für ein großer Schritt zurück in die Normalität! Was für ein großer Schritt zurück ins Leben!

Danke Herr Söder! Das ist sicher eine der Packungen, zwischen denen Sie medienwirksam gestanden haben, um die Produktion dieser überlebenswichtigen Papiere voranzutreiben!